Der Meister der Filterblasen: Ex-US-Präsident Donald Trump. Hier bei einer Rede auf der Conservative Political Action Conference (2015). Foto: Gage Skidmore, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Überzeugungen im Zeitalter von Filterblasen
Warum glauben noch immer so viele Republikaner die Mär vom Wahlbetrug bei den aktuellen US-Präsidentschaftswahlen? Kann man Corona-Leugnern überhaupt mit Sachargumenten beikommen? Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Universität Amsterdam liefert Antworten, was Menschen daran hindert, ihre Überzeugungen zu ändern. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift »Proceedings of the Royal Society of London B« veröffentlicht.
Indem wir uns mit anderen austauschen und ihr Verhalten beobachten, lernen wir dazu, können neue Fähigkeiten erwerben und uns an veränderte Gegebenheiten anpassen. Aber was ist, wenn Informationen aus unserem sozialen Umfeld nicht miteinander übereinstimmen oder gar widersprüchlich sind? Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Universität Amsterdam haben in einer jüngst veröffentlichten Studie untersucht, wie Menschen mit Informationen aus verschiedenen sozialen Quellen umgehen und daraus Überzeugungen bilden. »Gerade das Internet hat die Struktur und Dynamik sozialer Interaktionen dramatisch verändert. Die Verfügbarkeit sozialer Quellen ist teils algorithmisch verzerrt – zugunsten unserer eigenen Vorlieben. Es bietet uns gleichzeitig aber auch Zugang zu potenziell widerstreitenden Ansichten«, unterstreicht Erstautor Lucas Molleman die Bedeutung der Studie. Er ist assoziierter Wissenschaftler am Forschungsbereich Adaptive Rationalität des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und Postdoc an der Universität Amsterdam.
Die Wissenschaftler führten zunächst eine experimentelle Studie unter 95 Testpersonen aus den USA durch. Die Teilnehmenden sollten eine angepasste Version des Berlin Estimate AdjuStment Task (BEAST) lösen. Bei der Aufgabe, die die Nutzung sozialer Informationen durch Einzelpersonen zuverlässig misst, mussten sich die Teilnehmenden Bilder von Tiergruppen ansehen und die darauf zu sehende Anzahl der Tiere schätzen. Sie erhielten danach Informationen über die Schätzungen anderer drei Teilnehmendenden und konnten auf Basis dieser eine erneute Schätzung abgeben. Je stärker die Teilnehmenden ihr Urteil an das der anderen anpassten, desto eher hatten sie die sozialen Informationen berücksichtigt.
Die Wissenschaftler variierten die Untersuchungsbedingungen. Sie präsentierten den Teilnehmenden in 30 Runden mal mehr, mal weniger vom eigenen Urteil abweichende und extreme Schätzungen. Die Ergebnisse zeigen: Ob soziale Informationen bei der eigenen Urteilsfindung berücksichtigt werden, hängt davon ob, wie stark die Schätzungen der anderen voneinander abweichen und wie weit sie vom eigenen Urteil entfernt sind. Die Teilnehmenden passten ihre Schätzungen am ehesten an, wenn die Schätzungen der anderen eng übereinstimmten und sich nicht allzusehr vom eigenen Urteil unterschieden. Wichen die Schätzungen der anderen stärker voneinander ab, wurden diese für die eigene Urteilsfindung weniger in Betracht gezogen. Generell gewichteten die Teilnehmenden das eigene Urteil stärker als das der anderen. Insgesamt konnten drei Anpassungsstrategien ausgemacht werden: (1) Beibehaltung der ursprünglichen Schätzung, (2) Übernahme der Schätzung von einem der drei Teilnehmenden, oder (3) Kompromiss zwischen der urspünglichen Schätzung und den Schätzungen der anderen. Die relative Häufigkeit dieser Strategien unterschied sich deutlich zwischen Untersuchungsbedingungen. Beobachteten die Teilnehmenden einen einzelnen Gleichgesinnten, der mit ihnen eng übereinstimmte, waren diese eher bereit ihre ursprüngliche Schätzung beizubehalten oder die des Nahestehenden. Gab es keine engen Übereinstimmungen, waren die Teilnehmenden eher zu Kompromissen bereit, indem sie ihre Einschätzung in Richtung, aber selten über die Schätzung des Nächstgelegenen hinaus, anpassten.
»Unser Experiment quantifiziert, wie Menschen ihre bestehenden Überzeugungen und die Überzeugungen anderer abwägen. In unserem Fall gibt es eigentlich keinen Grund anzunehmen, die eigene Schätzung sei besser als die der anderen. Was wir hier beobachten, ist in der Psychologie als sogenannte ‚egozentrische Diskontierung‘ bekannt – nämlich, dass Menschen ihren eigenen Überzeugungen mehr Gewicht beimessen als denen anderer«, erklärt Koautor Alan Noveas Tump, Postdoc am Forschungsbereich Adaptive Rationalität des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. »Darüber hinaus zeigt unsere Studie, dass diese Gewichtung stark davon beeinflusst wird, wie sehr die Überzeugungen anderer mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmen: Menschen sind eher dazu geneigt Informationen zu beachten, die ihre eigenen Überzeugungen bestätigen«, so Tump weiter.
Auf Basis der gewonnenen Ergebnisse entwickelten die Wissenschaftler ein Modell, das die beobachteten Anpassungsstrategien integriert und berücksichtigt, dass Menschen soziale Informationen, die persönliche Urteile bestätigen, besonders beachten. In anschließenden Simulationen ließ sich so untersuchen, wie Menschen sich in realen Situationen verhalten würden. So simulierten die Wissenschaftler eine typische Filterblase, in der die sozialen Informationen meist von Gleichgesinnten stammen. Ebenso simulierten sie typische Versuche, gegen Vorurteile anzukämpfen, indem Menschen mit Informationen konfrontiert werden, die nicht ihren eigenen Überzeugungen entsprechen. Schließlich untersuchten sie, wie Menschen darauf reagieren, gleichzeitig verschiedenen Gruppen mit extremen Überzeugungen ausgesetzt zu sein. Ihre Simulationen legen nahe, dass Bestätigungseffekte dazu führen können, dass abweichende soziale Informationen ignoriert, Filterblasen-Effekte verschärft und Menschen in ihren Einstellungen extremer werden können.
»Auch wenn wir die Anpassung von Überzeugungen in einem experimentellem Rahmen untersucht haben, trägt unser Modell dazu bei, aktuelle Phänomene zu erklären. Unsere Studie zeigt, wie die Verarbeitung von sozialen Informationen Filterblasen im Internet verstärken kann und warum öffentliche Debatten häufig von Polarisierung geprägt sind: Menschen werden schnell unempfänglich für Gegenargumente. Da Interaktionen immer häufiger online stattfinden, finden Menschen oft Informationen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen. Das macht sie weniger bereit auf Alternativen zu hören«, sagt Koautor Wouter van den Bos, assoziierter Wissenschaftler am Forschungsbereich Adaptive Rationalität des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und Professor an der Universität Amsterdam.
In weiteren Studien möchten die Wissenschaftler das Modell noch um weitere Aspekte der Realität präzisieren und herausfinden, welche Rolle es spielt, ob die Informationen beispielsweise von einem Freund, Fremden, einem Experten oder von jemandem mit der gleichen oder einer anderen politischen Einstellung stammen. Auch untersuchen sie, wie andere Menschen altruistisches Geben oder die Einhaltung sozialer Normen beeinflussen.
Originalpublikation:
Molleman, L., Tump, A. N., Gradassi, A., Herzog, S. M., Jayles, B., Kurvers, R. H. J. M., & van den Bos, W. (2020) Strategies for integrating disparate social information. Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences. https://doi.org/10.1098/rspb.2020.2413
Textquelle: Artur Krutsch, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Bildquelle: Der Meister der Filterblasen: Ex-US-Präsident Donald Trump. Hier bei einer Rede auf der Conservative Political Action Conference (2015). Foto: Gage Skidmore, Lizenz: CC BY-SA 3.0