Teil der Immun­abwehr reguliert Blut-Hirn-Schranke

Im alternden Gehirn nimmt die C3/C3a-Produktion zu und die C3a-Rezep­toren auf Gefäßen­do­thel­zellen des Gehirns werden aktiviert. Als Reaktion darauf produ­zieren diese Zellen vermehrt das Adhäsi­ons­mo­lekül VCAM‑1, was zu einer verstärkten Einwan­derung von Lympho­zyten in das Gehirn führt. Zusätzlich kommt es durch die Aktivierung des C3a-Rezeptors zu einer Mobili­sierung von Calcium-Ionen in den Zellen, was zu einer Störung des Gefäßen­dothel-Cadherins führt, welches von zentraler Bedeutung für die Verbindung dieser Zellen ist. Ein Aufbrechen dieser Verbin­dungen hat eine erhöhte Durch­läs­sigkeit der Blut-Hirn-Schranke zur Folge. Foto: Jörg Köhl, Uni Lübeck

Teil der Immun­abwehr reguliert Blut-Hirn-Schranke

Wenn der Mensch älter wird, verändern sich Struk­turen und Funktionen im Gehirn. Eine wichtige alters­ab­hängige Verän­derung ist die erhöhte Durch­läs­sigkeit der Blut-Hirn-Schranke, die norma­ler­weise nur bestimmte Stoffe aus der Blutbahn in das Gehirn hinein und wieder hinaus­lässt. Dies kann unter anderem die Entstehung von neuro­de­ge­nera­tiven Erkran­kungen wie Alzhei­mer­demenz begünstigen.

Eine Reihe von voran­ge­gan­genen Studien legt nahe, dass die vermin­derte Funktion der Blut-Hirn-Schranke mit immuno­lo­gisch-bedingten Entzün­dungs­pro­zessen zusam­men­hängt – die genauen Mecha­nismen dahinter sind jedoch bisher wenig verstanden. In Labor­ver­suchen hat jetzt Professor Jörg Köhl, Direktor des Instituts für Syste­mische Entzün­dungs­for­schung Lübeck (ISEF), zusammen mit der Arbeits­gruppe von Professor Hui Zheng (Huffington Center on Aging, Houston, USA) einen Mecha­nismus identi­fi­ziert, durch den das sogenannte Komple­ment­system, ein bestimmter Teil des Immun­systems, die Gefäß­ent­zündung und die damit assozi­ierte gestörte Funktion der Blut-Hirn-Schranke während des Alterungs­pro­zesses reguliert. Ihre Ergeb­nisse haben die Forschenden vor kurzem in der Fachzeit­schrift »Journal of Clinical Inves­ti­gation« veröf­fent­licht.

Das Komple­ment­system ist Teil der angebo­renen Immun­abwehr. Es besteht aus mehr als 40 Proteinen, die im Blut und als Rezep­toren auf der Oberfläche von Zellen vorkommen. Zu diesen Proteinen gehören die sogenannten Komple­ment­fak­toren und deren Spalt­pro­dukte, sowie Rezep­toren, die diese Spalt­pro­dukte erkennen.

Das System spielt eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Mikro­or­ga­nismen. Es signa­li­siert die Anwesenheit von Krank­heits­er­regern sowie die Bindung von Antikörpern an Krank­heits­er­reger, aber auch an körper­eigene Struk­turen. Durch Fehlre­gu­lation des Komple­ment­systems kann es jedoch auch im Verlauf von bestimmen Erkran­kungen zu einer überschie­ßenden Entzün­dungs­re­aktion kommen, die Gewebe­schäden verur­sacht. Während die meisten Komple­ment­pro­teine in der Leber produ­ziert werden, ist seit längerem bekannt, dass sowohl Komple­ment­fak­toren als auch Komple­ment­re­zep­toren davon unabhängig auch direkt im Gehirn produ­ziert werden. Von beson­derer Bedeutung ist der Komple­ment­faktor C3, der in zwei Teile gespalten werden kann, C3b und C3a. C3a löst seine biolo­gische Wirkung dadurch aus, dass es an den C3a-Rezeptor bindet, der u.a. auf Gefäßen­do­thel­zellen, also den Zellen, die das Innere von Blutge­fäßen auskleiden, und verschie­denen Gehirn­zellen vorhanden ist.

In der jetzt publi­zierten Studie konnten die Forschenden zeigen, dass im alternden Gehirn die C3/C3a-Produktion zunimmt und es zu einer Aktivierung des C3a-Rezeptors auf Gefäßen­do­thel­zellen des Gehirns kommt. Als Reaktion darauf produ­zieren diese Zellen vermehrt ein bestimmtes Adhäsi­ons­mo­lekül, was zu einer verstärkten Einwan­derung von Lympho­zyten, also spezi­ellen Immun­zellen, in das Gehirn führt. Zusätzlich induziert die Aktivierung des C3a-Rezeptors auf den Gefäßen­do­thel­zellen die Freisetzung von intra­zel­lu­lären Calcium-Ionen. Das führt zu einer Störung eines spezi­ellen Proteins auf den Gefäßen­do­thel­zellen, welches von zentraler Bedeutung für die Verbindung dieser Zellen ist. Ein Aufbrechen dieser Verbin­dungen hat eine erhöhte Durch­läs­sigkeit der Blut-Hirn-Schranke zur Folge. Dadurch ist das Gehirn nicht mehr so gut vom Rest des Körpers abgegrenzt, so dass Entzün­dungen aus der Umgebung leichter auch auf das Gehirn übergreifen können.

Um diesen Krank­heits­me­cha­nismus aufzu­klären, hatten die Forschenden einen trans­genen Mausstamm entwi­ckelt, bei dem die Mäuse genetisch so verändert sind, dass sie keinen C3a-Rezeptor auf den Gefäßen­do­thel­zellen mehr ausbilden. Die spezi­fische Ausschaltung des C3a-Rezeptors in den Gefäßen­do­thel­zellen schützte die Mäuse nicht nur vor einer erhöhten Durch­läs­sigkeit der Blut-Hirn-Schranke im Alter. Sie reduzierte zudem die entzünd­liche Aktivität von spezi­ellen Immun­zellen im Gehirn, den Mikro­glia­zellen, und vergrö­ßerte das Volumen des Hippo­campus und der Großhirn­rinde von alternden Mäusen im Vergleich zu Tieren mit C3a-Rezeptor. Der Hippo­campus ist von beson­derer Bedeutung für Lern- und Gedächt­nis­pro­zesse.

»Unsere Befunde zeigen eine neue, durch das Komple­ment­system gesteuerte Regulation der Blut-Hirn-Schranke auf und damit verbunden der Immun­zel­l­ak­ti­vierung, Entzündung und Degene­ration im alternden Gehirn«, sagt Köhl. »Die Daten deuten darauf hin, dass die gezielte Blockierung einzelner Elemente des Komple­ment­systems zu einer wesent­lichen Verbes­serung der Gefäß­funktion und Verrin­gerung der Durch­läs­sigkeit der Blut-Hirn-Schranke führen könnte und damit zu einer Reduktion der Neuro­in­flamm­ation sowie Neuro­de­ge­neration im Alter«, so Köhl weiter.

Die Beobach­tungen könnten auch inter­essant sein im Hinblick auf akute Entzün­dungs­zu­stände wie Schlag­an­fälle und Schädel-Hirn-Traumata oder neuro­de­ge­nerative Erkran­kungen, insbe­sondere Alzheimer, bei denen das Alter der größte Risiko­faktor ist. »Aus voran­ge­gan­genen Studien ist bekannt, dass das Komple­ment­system auch bei diesen Erkran­kungen stark aktiviert wird«, erklärt Köhl. »Unsere Erkennt­nisse könnten also zukünftig auch neue Thera­pie­an­sätze für diese alters­be­dingten Erkran­kungen des Gehirns ermöglichen.«

Origi­nal­pu­bli­kation:

Propson N.E., Roy E.R. Litvinchuk A., Köhl J., Zheng H.: Endothelial C3a receptor mediates vascular inflamm­ation and BBB permea­bility during aging. J.Clin. Invest. (2020); first published Sep 29, 2020. DOI: 10.1172/JCI140966

Textquelle: Frederike Buhse, Exzel­lenz­cluster Präzi­si­ons­me­dizin für chronische Entzündungserkrankungen

Bildquelle: Im alternden Gehirn nimmt die C3/C3a-Produktion zu und die C3a-Rezep­toren auf Gefäßen­do­thel­zellen des Gehirns werden aktiviert. Als Reaktion darauf produ­zieren diese Zellen vermehrt das Adhäsi­ons­mo­lekül VCAM‑1, was zu einer verstärkten Einwan­derung von Lympho­zyten in das Gehirn führt. Zusätzlich kommt es durch die Aktivierung des C3a-Rezeptors zu einer Mobili­sierung von Calcium-Ionen in den Zellen, was zu einer Störung des Gefäßen­dothel-Cadherins führt, welches von zentraler Bedeutung für die Verbindung dieser Zellen ist. Ein Aufbrechen dieser Verbin­dungen hat eine erhöhte Durch­läs­sigkeit der Blut-Hirn-Schranke zur Folge. Foto: Jörg Köhl, Uni Lübeck