Erstautoren Nikolaus Fortelny und Thomas Krausgruber sowie Senior-Autor Christoph Bock. Foto: Klaus Pichler, CeMM
Strukturzellen des Körpers steuern Immunfunktion
Der menschliche Körper besteht aus hoch spezialisierten Komponenten. Knochen und Weichteilgewebe geben die Form, Organe kümmern sich um den Blutkreislauf, die Verdauung und andere Funktionen, und Immunzellen bekämpfen Krankheitserreger. Tatsächlich haben viele Zelltypen und Organe aber mehr als nur eine Rolle. Ein eindrucksvolles Beispiel für das »Multitasking« von Zellen beschreiben WissenschaftlerInnen am CeMM. In ihrer aktuellen Studie analysierten sie die epigenetische und transkriptionelle Regulation in Strukturzellen (d.h. in Epithelzellen, Endothelzellen und Fibroblasten) – den wichtigsten strukturellen Bausteinen unseres Körpers.
Die ForscherInnen konnten eine überraschend vielfältige Aktivität von Immun-Genen nachweisen, obwohl es sich bei diesen Strukturzellen eigentlich nicht um Zellen des Immunsystems handelt. Strukturzellen sind also nicht nur Bausteine des Körpers, sondern auch eng in die Immunabwehr eingebunden. Die Ergebnisse der Studie, die im renommierten Fachjournal Nature veröffentlicht wurde, unterstreichen die Bedeutung eines kaum beachteten Teils des Immunsystems und eröffnen spannende Perspektiven für Forschung und für zukünftige Therapien.
Unser Immunsystem schützt uns vor ständigen Angriffen durch Viren, Bakterien und andere Krankheitserreger. Ein Großteil dieses Schutzes wird von hämatopoetischen (d.h. Blut-basierten) Immunzellen bereitgestellt, die auf die Bekämpfung von Krankheitserregern spezialisiert sind. Dazu gehören Makrophagen, die Krankheitserreger entfernen; T‑Zellen, die Virus-infizierte Zellen abtöten; und B‑Zellen, die neutralisierende Antikörper gegen Krankheitserreger produzieren.
Die körpereigenen Abwehrfunktionen sind jedoch nicht auf diese Spezialisten beschränkt. Viele weitere Zelltypen können Infektionen erkennen und tragen direkt oder indirekt zur Immunantwort gegen Krankheitserreger bei.
Strukturzellen sind die zentralen Bausteine des Körpers und spielen eine wichtige Rolle für den Aufbau und die Struktur von Geweben und Organen. Epithelzellen bilden die Oberfläche der Haut, und sie trennen Gewebe und Organe voneinander; Endothelzellen bedecken das Innere der Blutgefäße; und Fibroblasten produzieren Bindegewebe, das die Organe formt und zusammenhält. Trotz ihrer gut erforschten Rolle bei Autoimmunerkrankungen (z.B. rheumatoide Arthritis, entzündliche Darmerkrankungen) und bei Krebs haben Strukturzellen den Ruf als simple und eher uninteressante Bestandteile des Körpers. In ihrer neuen Studie widmeten sich Thomas Krausgruber, Nikolaus Fortelny und Kollegen in Christoph Bocks Labor am CeMM der Erforschung von Strukturzellen und ihrer Immunregulation. Dazu führten sie eine systematische, genomweite Analyse der epigenetischen und transkriptionellen Regulation dieser Strukturzellen durch.
Zu diesem Zweck erstellte die Forschergruppe einen umfassenden Katalog der Gen-Aktivität und Gen-Regulation bei drei Arten von Strukturzellen (Epithelzellen, Endothelzellen und Fibroblasten), isoliert aus 12 verschiedenen Organen gesunder Mäuse. Dabei kamen mehrere Technologien für die Hochdurchsatz-Sequenzierung zum Einsatz (RNA-seq, ATAC-seq, ChIPmentation). Diese Daten zeigen, dass zentrale Immun-Gene in Strukturzellen aktiv sind und eine komplexe Zelltyp- und Organ-spezifische Genregulation aufweisen. Vertiefende bioinformatische Analyse haben außerdem ein Netzwerk von Interaktionen zwischen Strukturzellen und hämatopoetischen Immunzellen identifiziert. Daraus ergeben sich konkrete Hinweise auf die biologischen Mechanismen, mit denen Strukturzellen zur Krankheitsabwehr beitragen.
Interessanterweise zeigten viele Immun-Gene besondere epigenetische Eigenschaften, die normalerweise mit einer hohen Genexpression verbunden sind, während die beobachtete Expression in Strukturzellen von gesunden Mäusen eher gering war. Die CeMM-ForscherInnen stellten daher die Hypothese auf, dass diese Gene epigenetisch für eine schnelle Aktivierung vorprogrammiert sind, wenn sie benötigt werden – beispielsweise als Reaktion auf einen Krankheitserreger. Um diese Theorie zu testen, kooperierten sie mit Andreas Bergthaler und seinem Labor am CeMM und studierten die Immunantwort bei Virusinfektionen.
Die Mäuse wurden mit einem Virus (LCMV) infiziert, das eine breite Immunantwort auslöst, worauf viele der epigenetische vorprogrammierten Gene tatsächlich hochreguliert wurden. Damit trugen diese Gene zu den Veränderungen bei, die Strukturzellen als Reaktion auf eine Virusinfektion zeigen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Strukturzellen ein »epigenetisches Potenzial« besitzen, das schnelle Immunantworten ermöglicht. Als zusätzliche Validierung lösten die ForscherInnen eine künstliche Immunantwort aus, indem sie Mäusen Zytokine injizierten, und konnten feststellen, dass viele der gleichen Gene aktiviert wurden.
Die neue Studie deckt eine bemerkenswerte Komplexität der Regulation von Immun-Genen in den Strukturzellen des Körpers auf. Die Ergebnisse unterstreichen, dass Strukturzellen nicht nur zentrale Bausteine unseres Körpers sind, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Abwehr von Krankheitserregern leisten. Langfristig könnten diese Erkenntnisse zur Entwicklung von innovativen Therapien für Krankheiten beitragen, an denen das Immunsystem beteiligt ist.
Originalpublikation: Die Studie »Structural cells are key regulators of organ-specific immune responses« wurde am 1. Juli 2020 in Nature veröffentlicht. DOI: 10.1038/s41586-020‑2424‑4
Autoren: Thomas Krausgruber, Nikolaus Fortelny, Victoria Gernedl, Martin Senekowitsch, Linda C. Schuster, Alexander Lercher, Amelie Nemc, Christian Schmidl, André F. Rendeiro, Andreas Bergthaler, Christoph Bock
Textquelle: Laura Alvarez, CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Bildquelle: (oben) Erstautoren Nikolaus Fortelny und Thomas Krausgruber sowie Senior-Autor Christoph Bock. Foto: Klaus Pichler, CeMM
Bildquelle: (unten) »Smart Structures«: CeMM-ForscherInnen entdecken eine zentrale Rolle von Strukturzellen für das Immunsystem und die Abwehr von Krankheitserregern. Grafik: Rob Dobi, CeMM