Mit moleku­larem Reporter gegen Hirntumor

Bisher nur vermutet, jetzt dank des moleku­laren Reporters sichtbar gemacht: Wo mensch­liche Tumor­zellen und Gehirn­zellen einer Maus aufein­an­der­treffen, haben die Tumor­zellen eine andere Identität als überall sonst (grün). Foto: AG Gargiulo, MDC

Mit moleku­larem Reporter gegen Hirntumor

Bislang war unklar, wie und warum Krebs­zellen sich an ihre Umgebung anpassen. Ein Team um Gaetano Gargiulo vom MDC hat nun eine Techno­logie entwi­ckelt, mit der die Abläufe in lebenden Zellen beobachtet werden können. Ihre Ergeb­nisse stellen die Forscher*innen im Fachblatt Cancer Discovery vor.

Das Glioblastom ist der häufigste bösartige Hirntumor bei Erwach­senen. Jährlich erkranken daran etwa fünf von 100.000 Menschen. Die Diagnose kommt einem Todes­urteil gleich: Auch nach einer Resektion mit anschlie­ßender Bestrahlung und Chemo­the­rapie sterben die Patient*innen innerhalb weniger Monate. Denn nach der Behandlung kehrt ein Glioblastom zurück. Ohne Ausnahme und aggres­siver als vorher.

Bei Unter­su­chungen des Tumor­ge­webes finden Forscher*innen immer auch Immun­zellen im Inneren des Glioblastoms. Sie vermuten deshalb schon seit langem, dass diese den Tumor stärken, anstatt ihn zu bekämpfen. Ein Team um Dr. Gaetano Gargiulo am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemein­schaft (MDC) hat nun den eindeu­tigen Beweis dafür geliefert. »Wir haben eine neue Techno­logie entwi­ckelt, mit der wir auf moleku­larer Ebene sichtbar machen können, wie die körper­ei­genen Immun­zellen die Tumor­zellen anstelle des Körpers vertei­digen«, sagt Gargiulo.

Dafür kreieren die Forscher*innen sogenannte molekulare Reporter, die in einer Zelle Fluoreszenz erzeugen, wenn dort komplexe Programme, beispiels­weise die Verän­derung der Zelli­den­tität, ablaufen. Ihre Forschungs­er­geb­nisse haben sie im Fachjournal Cancer Discovery veröf­fent­licht. Erstau­toren sind Matthias Jürgen Schmitt, Carlos Company und Yuliia Drama­retska, Doktorand*innen in Gargiulos AG »Molekulare Onkologie«. Die Gruppe hat mit Wissenschaftler*innen des Nieder­län­di­schen Krebs­in­stituts, der Ludwig-Maximi­lians-Univer­sität München und des Spani­schen Krebs­for­schungs­zen­trums zusammengearbeitet.

Das Glioblastom, früher auch Glioblastoma multi­forme genannt, ist ein sehr vielge­stal­tiger Tumor. Medika­mente, die erfolg­reich gegen einige Arten von Darm- oder Brust­krebs einge­setzt werden, sind gegen das Glioblastom machtlos. »Das liegt zum einen daran, dass die meisten Krebs­me­di­ka­mente es gar nicht erst schaffen, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden«, erklärt Gargiulo. Die Blut-Hirn-Schranke ist ein komplexes Gefüge aus zellu­lären und moleku­laren Kanälen, die den Zufluss von Stoffen aus dem Blutstrom ins Hirngewebe regulieren. Es lässt Substanzen, die nicht ins zentrale Nerven­system gehören, nicht passieren. Wahrscheinlich gibt es aus diesem Grund bislang nur ein einziges Medikament für die Chemo­the­rapie bei Glioblastom-Patienten. Und dieses Medikament ist nicht besonders wirkungsvoll.

Basis für die Entwicklung neuer Medikamente

Zum anderen ist Krebs­zelle nicht gleich Krebs­zelle. Die Zellen, aus denen ein Glioblastom besteht, werden in verschiedene molekulare Subtypen unter­teilt. Die Zusam­men­setzung ändert sich im Laufe der Zeit. Insbe­sondere bei einem Rezidiv – also einem Tumor, der nach einer Behandlung erneut auftritt – findet häufig eine Verwandlung statt: hin zum aggres­sivsten Zelltyp, der noch tödlicher ist als die anderen. »Ein besseres Verständnis der Glioblastom-Subtyp-Identi­täten und der Trigger, die diesen Verän­de­rungs­prozess auslösen, könnte einen Anhalts­punkt für die Entwicklung neuer, effek­ti­verer Therapien liefern«, sagt Matthias Schmitt.

Voraus­setzung dafür ist, die Biologie des Tumors genau zu verstehen. Wie er sein Wachstum reguliert und mit umlie­genden Zellen inter­agiert. Gargiulo und seine Mitstreiter*innen haben jetzt das Werkzeug gefunden, mit dem sie diese zellu­lären Prozesse nachvoll­ziehen können. »Wir haben im Genom der Tumor­zellen die Regula­toren identi­fi­ziert, die den jewei­ligen Subtyp der Zellsi­gnatur program­mieren«, beschreibt Yuliia Drama­retska. »Diese kurzen DNA-Abschnitte haben wir zu moleku­laren Reportern umgewandelt, die fluores­zieren, wenn sich die Zellen verwandeln.« Sie zeigen auch an, was diese Verwandlung auslöst: beispiels­weise Immun­zellen, Medika­mente oder ionisie­rende Strahlen.

Vielfältige Einsatz­mög­lich­keiten

»Mithilfe der moleku­laren Reporter können wir nun heraus­finden, wie wir die Immun­zellen davon abhalten können, die Tumor­zellen so zu verändern, dass sie aggres­siver werden«, beschreibt Gargiulo künftige Forschungs­an­sätze. »Vielleicht können wir sie auch dazu bringen, weitere Immun­zellen gezielt zu rekru­tieren, damit sie den Tumor mitbekämpfen.«

Die Techno­logie ist bereits paten­tiert. Um sie weiter zu entwi­ckeln, soll ein Unter­nehmen ausge­gründet werden. »Ihre Anwendung ist nicht auf Glioblastome beschränkt«, betont Carlos Company, »sie ist poten­ziell anwendbar in vielen biolo­gi­schen Systemen.« Ganz aktuell könnte sie in der Forschung zu COVID-19 einge­setzt werden, führt Gargiulo aus. MDC-Wissenschaftler*innen wollen auf dieser Grundlage Tests entwi­ckeln, die sehr frühzeitig anzeigen, ob das Virus das Lungen­gewebe angreift. Sie könnten Medika­men­ten­kom­bi­na­tionen dahin­gehend überprüfen, ob sie den Erreger davon abhalten, sich in den Zellen zu repli­zieren, und eine antivirale Reaktion auslösen. Die Methode könnte auch Aufschluss darüber geben, wie und warum Medika­mente gegen COVID-19 wirken.

Origi­nal­pu­bli­kation:

Matthias Jürgen Schmitt, Carlos Company, Yuliia Drama­retska et al (2020): Pheno­typic mapping of patho­lo­gical crosstalk between glioblastoma and innate immune cells by synthetic genetic tracing, Cancer Discovery, DOI: 10.1158/2159–8290.CD-20–0219

Textquelle: Christina Anders, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

Bildquelle: Bisher nur vermutet, jetzt dank des moleku­laren Reporters sichtbar gemacht: Wo mensch­liche Tumor­zellen und Gehirn­zellen einer Maus aufein­an­der­treffen, haben die Tumor­zellen eine andere Identität als überall sonst (grün). Foto: AG Gargiulo, MDC