Mit Hirnsti­mu­lation gegen Zwangsstörungen

Faser­trakte im Zielgebiet der Hirnsti­mu­lation. Darge­stellt sind die Elektro­den­kon­takte bei 50 Patienten mit Zwangs­stö­rungen sowie stimu­lierte Fasern mit positiven (rot) und negativen (blau) klini­schen Ergeb­nissen. Grafik: Horn/ Charité

Mit Hirnsti­mu­lation gegen Zwangsstörungen

Einer Forschungs­gruppe der Charité ist es gelungen, die tiefe Hirnsti­mu­lation als Therapie bei Zwangs­stö­rungen noch weiter zu verfeinern. Das Team bestimmte die genaue Position der Stimu­la­ti­ons­elek­troden im Gehirn von Patienten und konnte so einen präzisen Faser­trakt identi­fi­zieren, der mit optimalen klini­schen Ergeb­nissen bei der Hirnsti­mu­lation zusam­men­hängt. Auf Grundlage dieser Erkennt­nisse könnte die Zwangs­störung künftig zuver­läs­siger und effek­tiver behandelt werden, wie jetzt im Fachma­gazin »Nature Commu­ni­ca­tions« beschrieben ist.

Bei einer Zwangs­er­krankung erleben Betroffene einen Drang, bestimmte Dinge zu tun oder zu denken, dem sie willentlich nur schwer oder gar nicht wider­stehen können. Solche Zwangs­hand­lungen und Zwangs­ge­danken betreffen über zwei Prozent der Bevöl­kerung und stellen eine starke Beein­träch­tigung des täglichen Lebens dar. Eine Behand­lungs­mög­lichkeit in schweren Fällen ist die sogenannte tiefe Hirnsti­mu­lation, die auch bei anderen Erkran­kungen wie dem Parkinson-Syndrom angewendet wird. Dafür werden feine Elektroden in tief gelegene Hirnstruk­turen implan­tiert und senden dort sehr schwache elektrische Signale aus, um die gestörte Hirnak­ti­vität ins Gleich­ge­wicht zu bringen. Die Stimu­lation verschie­dener Bereiche, so etwa eines Faser­trakts der sogenannten internen Kapsel oder des subtha­la­mi­schen Kerns, kann in einigen Fällen die klini­schen Symptome verbessern. Um Erfolge zu erzielen, ist jedoch eine auf Milli­meter genaue Platzierung der Elektroden wichtig. Das optimale Zielgebiet für die Hirnsti­mu­lation bei Zwangs­er­kran­kungen war bisher nicht genau bekannt.

Die Forschungs­gruppe um Dr. Andreas Horn an der Klinik für Neuro­logie mit Experi­men­teller Neuro­logie der Charité konnte nun erstmals einen bestimmten Faser­trakt als optimales Zielgebiet ausweisen. Dafür unter­suchte das Team 50 Patienten mit Zwangs­stö­rungen an verschie­denen Zentren weltweit vor und nach Platzierung der Stimu­la­ti­ons­elek­troden mit moderner Kernspin-Tomographie-Methodik. So konnten umlie­gende Faser­trakte sichtbar gemacht und geprüft werden, welche davon selektiv durch die Elektroden stimu­liert wurden. »Diese Analyse zeigt uns, dass ein ganz bestimmtes Nerven­bündel mit optimalen Ergeb­nissen verknüpft ist. Der Zusam­menhang zeigte sich zuver­lässig über die verschie­denen Patien­ten­gruppen aus Köln, Grenoble, London und Madrid hinweg«, erklärt Dr. Horn, der auch Leiter einer Emmy-Noether-Nachwuchs­gruppe »In Richtung netzwerk­ba­sierter Hirnsti­mu­lation« ist.

Die Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaftler unter­suchten zunächst zwei Patien­ten­gruppen, bei denen entweder die interne Kapsel oder der subtha­la­mische Kern stimu­liert wurde. Obwohl diese Hirnstruk­turen ganz verschiedene Verbin­dungen zu anderen Bereichen aufweisen, erwies sich in beiden Gruppen ein bestimmter Faser­trakt zwischen Frontal­hirn­rinde und subtha­la­mi­schem Kern als geeig­netes Zielgebiet, um bei den Patienten zu klini­schen Verbes­se­rungen beizu­tragen. Allein durch die Lokali­sation der Stimu­la­ti­ons­elek­troden konnten die Forschenden das Behand­lungs­er­gebnis in den beiden unter­suchten und weiteren unabhän­gigen Gruppen zuver­lässig vorher­sagen. Ein Vergleich mit anderen Studien zeigte außerdem, dass sich die darin beschrie­benen Zielge­biete ebenfalls im Bereich des neu identi­fi­zierten Faser­trakts befinden.

»Grund­sätzlich ändert sich das Zielgebiet durch unsere Studi­en­ergeb­nisse nicht, wir konnten es aber verfeinern. Man kann es sich etwa so vorstellen: Bislang steuerten wir in den Opera­tionen mit unserem Boot stets auf eine Insel zu, die im Nebel lag, nun können wir die Insel und vielleicht sogar den Anlegesteg erkennen und genauer darauf zusteuern«, beschreibt Ningfei Li, Erstautor der Studie, den Nutzen für künftige Implan­ta­tionen. Die dreidi­men­sio­nalen Struk­turen hat sein Team dafür offen als Datensatz publi­ziert und stellt sie so weltweit für Wissen­schaftler zur Verfügung. An der Charité selbst werden keine Patienten mit Zwangs­stö­rungen durch das invasive Hirnsti­mu­la­ti­ons­ver­fahren behandelt. Die forschenden Zentren stehen aller­dings weltweit in Kontakt und erarbeiten Proto­kolle, um die Erprobung des neu definierten Zielge­biets in zukünf­tigen Studien zu ermöglichen.

Origi­nal­pu­bli­kation: Nature Commu­ni­ca­tions: Li N et al. A unified connec­tomic target for deep brain stimu­lation in obsessive-compulsive disorder. Nat Commun (2020), DOI: 10.1038/s41467-020–16734‑3. https://www.nature.com/articles/s41467-020–16734‑3

Textquelle: Manuela Zingl, Charité – Univer­si­täts­me­dizin Berlin

Bildquelle: Faser­trakte im Zielgebiet der Hirnsti­mu­lation. Darge­stellt sind die Elektro­den­kon­takte bei 50 Patienten mit Zwangs­stö­rungen sowie stimu­lierte Fasern mit positiven (rot) und negativen (blau) klini­schen Ergeb­nissen. Grafik: Horn/ Charité