Medika­mente mit »Schall« anreichern

Astro­zyten (Stern­zellen) der Glia und Anlagerung ihrer Fortsätze an einer Ader. Der Raum zwischen Ader und diesen Anlage­rungen ist Teil des glympha­ti­schen Trans­port­weges. Grafik: Ben Brahim Mohammed, Lizenz: CC BY 3.0

Medika­mente mit »Schall« anreichern

Fokus­sierte Ultra­schall­wellen helfen ETH-Forschenden, Medika­mente im Gehirn punkt­genau zu platzieren, also nur dort, wo ihre Wirkung erwünscht ist. Die Methode soll künftig psych­ia­trische, neuro­lo­gische und onkolo­gische Behand­lungen mit weniger Neben­wir­kungen ermöglichen.

Forschende der ETH Zürich haben eine Methode entwi­ckelt, mit der Medika­mente im Hirn punkt­genau freige­setzt werden können. Damit könnte es in Zukunft möglich werden, Psycho­pharmaka, Chemo­the­ra­peutika und andere Medika­mente nur in jene Hirnre­gionen zu bringen, wo das aus medizi­ni­schen Gründen gewünscht ist.

Heute ist das praktisch nicht möglich – Medika­mente gelangen über das Blut in das ganze Gehirn und den ganzen Körper, was in einigen Fällen die Ursache für Neben­wir­kungen ist. Die neue Methode ist nicht-invasiv – die präzise Medika­men­ten­frei­setzung im Gehirn wird von außerhalb des Kopfs mit Ultra­schall gesteuert. Dies berichten die Wissen­schaftler unter der Leitung von Mehmet Fatih Yanik, Professor für Neuro­tech­no­logie, in der Fachzeit­schrift Nature Communications.

Um zu verhindern, dass ein Wirkstoff seine Aktivität im ganzen Körper und im ganzen Gehirn entfalten kann, werden bei der neuen Methode spezielle Träger einge­setzt, die den Wirkstoff in kugel­förmige Lipidbläschen einpacken, die an gashal­tigen, ultra­schall-empfind­lichen Mikro­bläschen befestigt sind. Diese werden ins Blut injiziert und gelangen so ins Gehirn.

In einem zweistu­figen Prozess nutzen die Wissen­schaftler anschließend fokus­sierten Ultra­schall. Fokus­sierter Ultra­schall kommt bereits heute in der Krebs­me­dizin zum Einsatz, um Krebs­gewebe an genau definierten Punkten im Gewebe zu zerstören. Bei der neuen Anwendung arbeiten die Wissen­schaftler aller­dings mit weit gerin­gerer Energie, welche das Gewebe nicht schädigt.

Medika­mente mit Schall anreichern

In einem ersten Schritt reichern die Wissen­schaftler mit Ultra­schall­wellen niedriger Energie am gewünschten Ort im Gehirn die Wirkstoff­träger an. «Man kann sich das so vorstellen, dass wir mit Ultra­schall­pulsen am gewünschten Ort eine Art virtu­ellen Schall­wellen-Käfig erstellen. Von der Blutzir­ku­lation angetrieben werden die Wirkstoff­träger durch das ganze Gehirn gespült. Jene, die in den Käfig gelangen, finden dort aber nicht mehr hinaus», erklärt ETH-Professor Yanik.

In einem zweiten Schritt bringen die Forschenden an diesem Ort die Wirkstoff­träger mit höherer Ultra­schall-Energie zum Vibrieren. Reibungs­kräfte zerstören die Aussen­membran der Behälter, der Wirkstoff wird freige­setzt und an dieser Stelle vom Nerven­gewebe aufgenommen.

Die Forschenden haben die Wirksamkeit der neuen Methode in Versuchen bei Ratten gezeigt. Sie kapselten dazu einen Neuro­hemm­stoff in den Wirkstoff­trägern ein. Damit ist es ihnen gelungen, ein spezi­fi­sches neuro­nales Netzwerk zu blockieren, das zwei Hirnareale mitein­ander verbindet. Die Wissen­schaftler konnten in den Versuchen zeigen, dass nur spezi­fisch dieser eine Teil des Netzwerks blockiert wurde und das Medikament nicht im ganzen Gehirn wirkte.

Effizi­entere Medikamentenverabreichung

«Weil wir mit unserer Methode Medika­mente dort im Körper anrei­chern können, wo ihre Wirkung erwünscht ist, reicht eine sehr viel geringere Dosis aus», sagt Yanik. Für ihr Experiment in Ratten benötigten sie beispiels­weise 1300-mal weniger Wirkstoff als es herkömm­li­cher­weise nötig wäre.

Schon früher haben andere Wissen­schaftler versucht, mit fokus­siertem Ultra­schall die Zufuhr von Medika­menten in bestimmte Hirnre­gionen zu verbessern. In jenen Ansätzen wurden die Wirkstoffe jedoch nicht lokal angerei­chert, sondern man schädigte die Blutge­fässe lokal, um damit den Wirkstoff­transport vom Blut ins Nerven­gewebe zu erhöhen. Dieser Ansatz kann langfristig jedoch schäd­liche Folgen haben. «In unserem Ansatz bleibt die physio­lo­gische Barriere von Blutkreislauf und Nerven­gewebe hingegen intakt», sagt Yanik.

Die Wissen­schaftler sind zurzeit daran, die Wirksamkeit ihrer Methode in Tiermo­dellen psychi­scher Erkran­kungen und neuro­lo­gi­scher Störungen zu testen, zum Beispiel um Angst­stö­rungen zu behandeln, sowie zur Behandlung von Hirntu­moren an chirur­gisch unzugäng­lichen Stellen. Erst wenn sich die Wirksamkeit und Vorteile der Methode bei Tieren bestätigt, können die Forschenden den Einsatz der Methode bei Menschen vorantreiben.

Origi­nal­pu­bli­kation:

Ozdas MS, Shah AS, Johnson PM, Patel N, Marks M, Yasar TB, Stalder U, Bigler L, von der Behrens W, Sirsi SR, Yanik MF: Non-invasive molecu­larly-specific milli­me­ter­re­so­lution manipu­lation of brain circuits by ultra­sound-mediated aggre­gation and uncaging of drug carriers. Nature Commu­ni­ca­tions, 1. Oktober 2020, doi: 10.1038/s41467-020–18059‑7

Textquelle: Peter Rüegg, Eidge­nös­sische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

Bildquelle: Astro­zyten (Stern­zellen) der Glia und Anlagerung ihrer Fortsätze an einer Ader. Der Raum zwischen Ader und diesen Anlage­rungen ist Teil des glympha­ti­schen Trans­port­weges. Grafik: Ben Brahim Mohammed, Lizenz: CC BY 3.0