Magen-Darm-Trakt: Auf die Lage kommt es an

Magen-Darm-Trakt: Auf die Lage kommt es an

Forscher der Univer­sität Würzburg bilden im Labor den Magen-Darm-Trakt mit Mini-Organen nach. Die Mini-Organe geben Einblicke in die Entzün­dungs­re­ak­tionen, die auch bei Krank­heiten wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa eine Rolle spielen.

Wie kommt es, dass bei manchen chronisch-entzünd­lichen Darmer­kran­kungen, wie Morbus Crohn, sowohl der Dünn- als auch der Dickdarm betroffen sind, während andere Leiden (zum Beispiel Colitis ulcerosa) ausschließlich den Dickdarm befallen? Unter anderem, um medizi­ni­schen Rätseln wie diesen auf die Schliche zu kommen, hat ein Forschungsteam der Julius-Maximi­lians-Univer­sität (JMU) Würzburg Minia­tur­ver­sionen des Magen-Darm-Trakts im Labor rekon­struiert. Eine ihrer Entde­ckungen: Dem Magen-Darm-Trakt wohnt eine verborgene Struk­tu­rierung inne, die auch neues Licht auf die genannten, weitver­brei­teten Entzün­dungs­er­kran­kungen werfen könnte.

Inzwi­schen können Forsche­rinnen und Forscher im Labor von praktisch all unseren Organen – darunter Haut, Gehirn und Darm – Minia­tur­ver­sionen bilden. Man bezeichnet die dreidi­men­sio­nalen Gebilde, die sich aus Stamm­zellen herstellen lassen, als »Organoide«. Organoide sind mit einem Durch­messer von 0,5 Milli­metern zwar nur etwa so groß wie ein Senfkorn, zeigen aber eine frappie­rende Ähnlichkeit mit den realen Organen. »Obwohl sie winzig sind, bilden die Organoide das ursprüng­liche Organ sehr gut nach«, sagt Dr. Sina Bartfeld, die Leiterin der Studie vom Zentrum für Infek­ti­ons­for­schung am Institut für Molekulare Infek­ti­ons­bio­logie der JMU. »Im Organoid sind die gleichen Zelltypen vorhanden, wie im echten Organ. In den Stamm­zellen, aus denen die Organoide entstehen, ist dabei auch eine Art Gewebs­iden­tität einpro­gram­miert. Die Stamm­zelle weiß sozusagen, aus welchem Organ sie kommt, und produ­ziert auch in der Kultur­schale dieje­nigen Zellen, die in diesem Organ im Körper vorhanden sind.«

Mini-Organe des Magens, Dünndarms und Dickdarms analysiert

In Zusam­men­arbeit mit dem Chirurgen Armin Wiegering der Uniklinik Würzburg, generierte das Team um Sina Bartfeld Mini-Organe des Magens, des Dünndarms sowie des Dickdarms. Dabei stießen sie auf eine überra­schend große molekulare Komple­xität. Dies ergab die Analyse der Sequen­zierung der RNA, die die Genak­ti­vität der Zellen wider­spiegelt. Beispiels­weise zeigte sich: Die Organoide der verschie­denen Abschnitte des Magen-Darm-Traktes schalten je nach der Gewebs­iden­tität spezielle Gen-Programme an. »Es ist jedem intuitiv verständlich, dass Magen- und Darmzellen unter­schied­liche Enzyme zur Verdauung bilden müssen, aber uns hat überrascht, dass auch bestimmte Andock­stellen des Immun­systems zu dieser Gewebs­iden­tität gehören«, sagt Bartfeld.

Die spezielle Organi­sation dieser Immun-Andock­stellen könnte eine Rolle spielen bei den Organ-spezi­fi­schen Entzün­dungs­krank­heiten. Sie könnte auch für die Krebs­ent­stehung relevant sein, bei der ebenfalls chronische Entzün­dungen im Verdacht steht. Ob dies so ist und wie Entzün­dungs­pro­zesse zur Krebs­ent­stehung beitragen könnten, muss noch näher erforscht werden. Die Organoide bieten hierfür eine neue Grundlage.

Organoide lassen sich im Labor nicht nur rasch und in großer Stückzahl bilden, sie haben zudem den Vorteil, dass sie aus mensch­lichem Gewebe bestehen und ein mensch­liches Organ rudimentär nachbilden. Da die Unter­schiede zwischen Tier und Mensch beträchtlich sind, können Organoide helfen, Tierver­suche zu reduzieren und Krank­heiten zu entschlüsseln, die es nur beim Menschen gibt. Auch bei der Entwicklung von Medika­menten spielen sie eine immer größere Rolle.

Zellen unter­schieden zwischen Freund und Feind

Außerdem bieten Organoide ganz neue Möglich­keiten, molekulare Grund­la­gen­pro­zesse an einem biolo­gisch realis­ti­schen Modell zu erfor­schen, etwa des Magen-Darm-Trakts, auf den sich auch die Würzberger Gruppe um Bartfeld spezia­li­siert hat. Die Zellen, die unseren Verdau­ungs­trakt auskleiden, die »Epithel­zellen«, haben eine wichtige Barrie­re­funktion, die unseren Körper vor dem Eindringen von Bakterien schützt. Das können zum einen Pathogene, wie krank­heits­er­re­gende Bakterien oder Viren sein. Zugleich wird der Darm von Billionen gutar­tigen Bakterien bevölkert (die Darmflora oder auch »Mikro­biota« genannt), die uns bei der Verdauung von Nahrung behilflich sind. Die Epithel­zellen müssen somit in der Lage sein, sowohl freund­liche als auch feind­liche Bakterien wahrzu­nehmen und auf diese adäquat zu reagieren. Dies funktio­niert über spezielle Immun-Andock­stellen, die als »Muster­er­ken­nungs-Rezep­toren« (PRRs) bezeichnet werden.

Diese Immun-Andock­stellen erkennen spezi­fische Moleküle, die von den unter­schied­lichen Bakterien im Darm produ­ziert werden. Werden Moleküle von gefähr­lichen Patho­genen erkannt, müssen die Epithel­zellen – im Gegensatz zu jenen Molekülen der gutar­tigen Bakterien – Alarm schlagen und eine Immun­antwort herbei­führen. Unklar ist bislang, wie das Epithel dabei zwischen Freund und Feind zu unter­scheiden vermag. »Es ist ausge­sprochen schwierig, die komplexen Inter­ak­tionen zwischen Immun­zellen, Epithel­zellen und Mikroben zu entwirren«, sagt Bartfeld. »Da aber unsere Organoide im Labor nur aus eben diesen Epithel­zellen bestehen, können wir anhand der Organoide ganz reduziert beobachten, was das Epithel zu diesen Inter­ak­tionen beiträgt.«

Wichtiger Schritt in der Aufklärung von Entzündungsmechanismen

Bei ihren Unter­su­chungen fanden die Würzberger Forscher für jeden der unter­suchten Muster­er­ken­nungs­re­zep­toren ein eigenes, segmet­spe­zi­fi­sches Genak­ti­vitäts-Muster. »Der Magen und jedes Segment im Darm hat ein eigenes, bestimmtes Reper­toire von Erken­nungs­re­zep­toren«, sagt Özge Kayisoglu, Erstau­torin der Studie. »Es kommt also auch bei der Immun­antwort des Epithels auf die genaue Lage an. So reagiert der Magen auf andere baktie­rielle oder virale Stoffe, als der Dünn- oder Dickdarm.« Diese Unter­schiede in der Immun­antwort könnten mögli­cher­weise auch zu den segment­spe­zi­fi­schen Krank­heiten wie Colitis ulcerosa beitragen.

Woher kommt diese unter­schied­liche Reaktion auf bakte­rielle oder virale Stoffe? Die nahelie­gende Vermutung der Forsche­rinnen und Forscher war zunächst, dass die Immun­re­zep­toren als Antwort auf die Besiedlung mit den gutar­tigen Bakterien reguliert ist. Um diese Vermutung zu testen, stellten die Wissen­schaftler Organoide von Zellen her, die noch nie in Kontakt mit Bakterien waren. »Die Daten zeigen, dass es durchaus einen Einfluss des Mikro­bioms gibt – aber es war überra­schend und faszi­nierend zu sehen, dass ein Großteil der Immun­erkennung des Epithels rein entwick­lungs­bio­lo­gisch in den Genen festge­schrieben und unabhängig von der Umwelt ist«, sagt Bartfeld.

Die gesam­melten Erkennt­nisse stellen einen wichtigen Schritt in der Aufklärung von Entzün­dungs­me­cha­nismen dar. Sie zeigen, dass jeder Abschnitt des Magen-Darm-Traktes eine spezi­fische Kombi­nation von Erken­nungs­re­zep­toren aufweist. Eine Fehlfunktion dieser angebo­renen Immunität könnte die Entwicklung entzünd­licher Krank­heiten fördern.

Origi­nal­pu­bli­kation: Location-specific cell identity rather than exposure to GI micro­biota defines many innate immune signalling cascades in the gut epithelium. Ozge Kayisoglu, Franziska Weiss, Carolin Niklas, Isabella Pierotti, Malvika Pompaiah, Nina Wallaschek, Christoph-Thomas Germer, Armin Wiegering, Sina Bartfeld. (Juni 2020) Gut. doi: 10.1136/gutjnl-2019–319919. http://dx.doi.org/10.1136/gutjnl-2019–319919

Textquelle: Kristian Lozina, Julius-Maximi­lians-Univer­sität Würzburg

Bildquelle: Images showing individual symptoms. Foto: cdc, Lizenz: Gemeinfrei