Ischgl-Studie: 42,4 Prozent sind Antikörper-positiv

Dorothee von Laer, Direk­torin des Instituts für Virologie an der Medizi­ni­schen Univer­sität Innsbruck und Leiterin der Antikörper-Studie: Auch wenn nicht von einer Herden­im­mu­nität auszu­gehen ist, dürfte die Ischgler Bevöl­kerung doch zu einem Gutteil geschützt sein. Foto: Holger Elias / Telefoto

Ischgl-Studie: 42,4 Prozent sind Antikörper-positiv

Knapp 1.500 Bewoh­ne­rinnen und Bewohner der Tiroler Gemeinde Ischgl wurden Ende April 2020 auf das neue Corona-Virus bzw. auf SARS-CoV‑2 Antikörper getestet. Nun liegen erste Ergeb­nisse aus der von der Medizi­ni­schen Univer­sität Innsbruck durch­ge­führten und bislang unver­öf­fent­lichten Studie vor. Im Zentrum der Unter­su­chung stand die Ermittlung der Durch­seu­chung der Ischgler Bevöl­kerung sowie die Validierung spezi­fi­scher Antikörpertestverfahren.

79 Prozent der Ischgle­rinnen und Ischgler hatten sich nach Einladung durch die Medizi­nische Univer­sität Innsbruck bereit erklärt, vom 21. bis 27. April 2020 an der Studie teilzu­nehmen, sodass schließlich 1.473 Proban­dInnen (1.259 Erw., 214 Kinder) aus 479 Haushalten für die PCR- und Antikör­per­testung zur Ermittlung bestehender bzw. überstan­dener Infek­tionen sowie für die Befragung zu Symptomen und Infek­ti­ons­verlauf zur Verfügung standen. 

Da es sich bei Ischgl um eine Gemeinde handelt, die aufgrund sogenannter Super­spre­ading-Events überdurch­schnittlich von der aktuellen Corona-Pandemie betroffen und infolge der strikten Quaran­tä­ne­maß­nahmen von der Umwelt abgeschlossen war, können aus der popula­ti­ons­ba­sierten Querschnitt­studie wichtige Erkennt­nisse zu Virus-Ausbreitung und Infek­ti­ons­verlauf gewonnen werden. Im Hinblick auf den erhobenen Nachweis von Antikörpern ist die Studie jedoch nicht reprä­sen­tativ für die öster­rei­chische Gesamt­be­völ­kerung. »Es handelt sich hier um eine Leucht­turm­studie mit dankenswert sehr hoher Betei­ligung der Ischgler Bevöl­kerung. Die Erkennt­nisse werden dabei helfen, zukünftige Unter­su­chungen besser planen zu können und die Anwendung von Antikör­per­tests noch sicherer zu machen«, so der Rektor der Medizi­ni­schen Univer­sität Innsbruck, W. Wolfgang Fleischhacker.

Zentrale Ergeb­nisse

Die Seroprä­valenz (Antikörper gegen SARS-CoV‑2) der Studi­en­teil­neh­me­rInnen von Ischgl liegt bei 42,4 Prozent (bei Kindern unter 18 Jahren: 27 Prozent). Das ist die zentrale Erkenntnis der Antikörper-Studie, die unter der Leitung der Virologin Dorothee von Laer, Direk­torin des Instituts für Virologie an der Medizi­ni­schen Univer­sität Innsbruck, durch­ge­führt wurde. »Wir haben es in Ischgl mit der höchsten, je in einer Studie nachge­wie­senen Seroprä­valenz zu tun. Auch wenn damit nicht von einer Herden­im­mu­nität auszu­gehen ist, dürfte die Ischgler Bevöl­kerung doch zu einem Gutteil geschützt sein«, kommen­tiert Studi­en­lei­terin von Laer das Ergebnis.

Der Anteil der seropo­sitiv Getes­teten liegt damit etwa sechs Mal höher (bei Kindern zehn Mal höher) als die Zahl der zuvor mittels PCR positiv getes­teten Personen, die Rate der offiziell gemel­deten Fälle beträgt damit nur 15 Prozent der de facto Infizierten. Die Zahl der nicht dokumen­tierten Fälle, die aufgrund eines asympto­ma­ti­schen oder milden Infek­ti­ons­ver­laufs nicht getestet wurden, lässt sich ausschließlich mit Antikör­per­tests nachweisen. »Eine hohe Rate nicht dokumen­tierter Fälle haben wir bereits vor Studi­en­beginn angenommen und sie hat sich nun, wie in anderen Hotspots auch, bestätigt«, so von Laer.

Auch für Peter Willeit, Epide­miologe an der Innsbrucker Univ.-Klinik der Neuro­logie, hat die Unter­su­chung einen beson­deren Stellenwert: »In keiner anderen Studie hatte ein so hoher Prozentsatz an Studi­en­teil­neh­me­rInnen Antikörper gegen SARS-CoV‑2 im Blut. In Gröden lag der Prozentsatz beispiels­weise bei 27 Prozent, in einer Studie in Genf bei etwa 10 Prozent. Besonders inter­essant an den Ergeb­nissen der Studie in Ischgl ist, dass ein Großteil der Personen mit Antikörpern erst durch die Studie als Corona­fälle identi­fi­ziert wurde. Das unter­streicht, wie wichtig die Durch­führung von Antikörper-Studien ist«, kommen­tiert Willeit.

Mittels Frage­bogen konnten in der Studie auch vorsichtige Rückschlüsse auf den Infek­ti­ons­verlauf erhoben werden. So berichtete ein Großteil der seropo­sitiv getes­teten Studi­en­teil­neh­me­rInnen über Geschmacks- und Geruchs­stö­rungen, gefolgt von Fieber und Husten. Unter den seropo­sitiv getes­teten Kindern verlief die Infektion meist asympto­ma­tisch. Lediglich neun Erwachsene unter den Studi­en­teil­neh­me­rInnen mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Tests am Prüfstand

Im Fokus der Studie stand außerdem die Anwen­dungs­si­cherheit der Testver­fahren zur Feststellung von Antikörpern. Diese Eiweiß­mo­leküle, sogenannte Immun­glo­buline, werden vom Immun­system zur Bekämpfung von Krank­heits­er­regern und anderen Fremd­stoffen gebildet. »Um die SARS-CoV‑2 spezi­fi­schen Immun­glo­buline IgA und IgG im Blut nachweisen zu können, haben wir ein dreistu­figes Verfahren mit maximaler Sensi­ti­vität und praktisch 100 Prozent Spezi­fität etabliert«, beschreibt von Laer die neue Teststra­tegie. Dabei wurden zwei hochsen­sitive ELISA-Tests (Immunassay-Verfahren, das auf einer enzyma­ti­schen Farbre­aktion basiert) einge­setzt, deren negative Ergeb­nisse als endgültig negativ beurteilt wurden. Überein­stimmend positive Ergeb­nisse wurden als »Hinweis auf eine zurück­lie­gende Infektion mit SARS-CoV‑2« beurteilt. War nur ein ELISA positiv, der andere negativ, wurde zur weiteren Abklärung ein Neutra­li­sa­ti­onstest durchgeführt.

Die Frage der Immunität bzw. wie lange Träge­rInnen von SARS-CoV‑2 Antikörpern vor einer Infektion geschützt sind, ist auch mit dieser Studie nicht aufge­klärt. »Es wäre sicher sinnvoll, die Ischgler Kohorte weiterhin zu begleiten und die Seroprä­valenz zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu unter­suchen«, so Rektor Fleischhacker.

Textquelle: Dr. Barbara Hoffmann-Ammann, Medizi­nische Univer­sität Innsbruck

Bildquelle: Dorothee von Laer, Direk­torin des Instituts für Virologie an der Medizi­ni­schen Univer­sität Innsbruck und Leiterin der Antikörper-Studie: Auch wenn nicht von einer Herden­im­mu­nität auszu­gehen ist, dürfte die Ischgler Bevöl­kerung doch zu einem Gutteil geschützt sein. Foto: Holger Elias / Telefoto

Video­quelle: Ergeb­nisse der Antikör­per­studie der Medizi­ni­schen Universiät Innsbruck zur Verbreitung des Corona­virus in Ischgl. Vorge­stellt von Prof. Dorothee von Laer (Direk­torin Institut für Virologie Univer­sität Innsbruck) und Prof. Wolfgang Fleisch­hacker (Rektor Medizi­nische Univer­sität Innsbruck). Quelle: Phoenix, 26. Juni 2020

GLOSSAR:

Seroprä­valenz: Als Seroprä­valenz bezeichnet man die Häufigkeit des serolo­gi­schen Nachweises spezi­fi­scher Antikörper, die in einer Population zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine bestehende oder durch­ge­standene Infek­ti­ons­krankheit hinweisen.

PCR: Die Polymerase-Ketten­re­aktion (englisch polymerase chain reaction (PCR)) ist eine Methode, um Erbsub­stanz (DNA) in vitro zu verviel­fäl­tigen. Dazu wird das Enzym DNA-Polymerase verwendet. Die PCR wird in biolo­gi­schen und medizi­ni­schen Labora­torien zum Beispiel für die Erkennung von Erbkrank­heiten und Virus­in­fek­tionen verwendet.

Neutra­li­sa­ti­onstest: Der Neutra­li­sa­ti­onstest (NT) ist eine Variante des Plaque-Assays, mit dem neutra­li­sie­rende Antikörper gegen bestimmte Viren im Serum nachge­wiesen werden können. Durch Bindung von Antikörpern an die Oberfläche des Virus wird seine Aufnahme in die Zelle verhindert, so dass es zu keiner Vermehrung mehr kommen kann und die Anzahl an infizierten Zellen in sogenannten Virus­plaques in einer Zellkultur reduziert wird. Daher bezeichnet man den Neutra­li­sa­ti­onstest auch als Plaque-Reduk­tions-Assay. Die Spezi­fität der NT-Reaktion wird jedoch von keinem automa­ti­sierten Immunassay erreicht, weshalb der NT vielfach als Referenztest für die Quali­täts­kon­trolle Verwendung findet. Bei der Suche nach neutra­li­sie­renden Antikörpern ist der Neutra­li­sa­ti­onstest alternativlos.

Sensi­ti­vität: Die Sensi­ti­vität eines diagnos­ti­schen Testver­fahrens gibt an, bei welchem Prozentsatz erkrankter Patienten die jeweilige Krankheit durch die Anwendung des Tests tatsächlich erkannt wird, d.h. ein positives Testre­sultat auftritt. Sie wird definiert als der Quotient aus richtig positiven Testergeb­nissen und der Summe aus richtig positiven und falsch negativen Testergeb­nissen. Je höher die Sensi­ti­vität eines Tests ist, desto sicherer erfasst er die Erkrankung.

Spezi­fität: Die Spezi­fität eines diagnos­ti­schen Testver­fahrens gibt die Wahrschein­lichkeit an, dass tatsächlich Gesunde, die nicht an der betref­fenden Erkrankung leiden, im Test auch als gesund erkannt werden. Sie wird definiert als der Quotient aus richtig negativen Testergeb­nissen und der Summe aus falsch positiven und richtig negativen Testergeb­nissen – also allen Testergeb­nissen, denen tatsächlich keine Erkrankung zugrunde lag.