Erbanlage bewahrt Immun­system vor Alterung

Das Bild zeigt Zellen, in denen Creld1 mit einem gelben Farbstoff markiert wurde, um seine Lokali­sation in der Zelle anzuzeigen. Foto: Dr. Lorenzo Bonaguro

Erbanlage bewahrt Immun­system vor Alterung

Eine Erbanlage, die bei der Entwicklung des Herzens im entste­henden Kind eine Rolle spielt, scheint auch im mensch­lichen Immun­system eine Schlüs­sel­funktion zu übernehmen. Das belegt eine neue Studie unter Feder­führung der Univer­sität Bonn. Die Studie ist in der Zeitschrift »Nature Immunology« erschienen.

Eine Erbanlage, die bei der Entwicklung des Herzens im entste­henden Kind eine Rolle spielt, scheint auch im mensch­lichen Immun­system eine Schlüs­sel­funktion zu übernehmen. Das belegt eine neue Studie unter Feder­führung der Univer­sität Bonn. Wenn das Gen nicht aktiv genug ist, kommt es demnach zu charak­te­ris­ti­schen Umstel­lungen der Immun­abwehr, wodurch sie an Schlag­kraft einbüßt. Mediziner sprechen von einer Alterung des Immun­systems, da sich in älteren Menschen oft ein ähnlicher Effekt beobachten lässt. Mittel­fristig könnten die Ergeb­nisse eventuell dazu beitragen, diese alters­be­dingten Einbußen zu verringern. Die Studie ist in der Zeitschrift Nature Immunology erschienen.

Die Erbanlage mit dem krypti­schen Kürzel CRELD1 gab der Wissen­schaft bislang Rätsel auf. Es war bekannt, dass sie eine wichtige Funktion bei der Entstehung des Herzens im Embryo übernimmt. Aller­dings bleibt CRELD1 auch nach der Geburt aktiv: Studien zeigen, dass es in praktisch allen Zellen des Körpers regel­mäßig abgelesen wird. Zu welchem Zweck, war bislang aller­dings völlig unbekannt.

Um diese Frage zu beant­worten, nutzten die Bonner Forscher einen kombi­nierten Analy­se­ansatz. In wissen­schaft­lichen Studien mit mensch­lichen Teilnehmern erfolgt heute oft eine sogenannte Transkriptom-Analyse. Dabei wird unter­sucht, welche Gene in der jewei­ligen Versuchs­person in welchem Ausmaß aktiv sind. Immer häufiger stellen die Wissen­schaftler die dabei gewon­nenen Daten auch Kollegen zur Verfügung, die damit dann ganz andere Frage­stel­lungen bearbeiten können. »Und genau das haben wir in unserer Studie gemacht«, sagt Dr. Anna Aschen­brenner vom LIMES-Institut der Univer­sität Bonn und Mitglied des Exzel­lenz­clusters ImmunoSensation².

Aschen­brenner habili­tiert in der Abteilung Genomik & Immuno­re­gu­lation von Prof. Dr. Joachim Schultze. Zusammen mit ihren Kollegen hat sie Transkriptom-Daten aus drei verschie­denen Studien mitein­ander kombi­niert. »Dadurch kannten wir von insgesamt 4.500 Probanden die Aktivität ihrer Erban­lagen, also auch ihres CRELD1-Gens«, erklärt sie. »Zusätzlich enthielten die Daten für diese Teilnehmer auch Angaben zu bestimmten immuno­lo­gi­schen Parametern, etwa zur Anzahl der verschie­denen Immun­zellen in ihrem Blut.«

Bei manchen Menschen ist CRELD1 weniger aktiv

Bei der Analyse dieser Infor­ma­tionen stießen die Forscher auf einen überra­schenden Zusam­menhang: Unter den 4.500 analy­sierten Versuchs­per­sonen waren auch solche, in denen das CRELD1-Gen aus irgend­welchen Gründen deutlich schwächer aktiv war. Inter­es­san­ter­weise fanden sich im Blut eben dieser Probanden nur sehr wenige der sogenannten T‑Zellen. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Infek­tionen; manche von ihnen spüren etwa viren­be­fallene Zellen auf und töten sie, bevor diese andere Zellen anstecken können.

In Mausexpe­ri­menten unter­suchten die Forscher diesen Zusam­menhang weiter. Die Ergeb­nisse zeigten, dass der genetische Verlust von Creld1 in der Tat den Verlust von T‑Zellen bedingt. T‑Zellen ohne Creld1-Gen büßen auch in Mäusen weitgehend ihre Vermeh­rungs­fä­higkeit ein und sterben zudem früher. »Ähnliche Änderungen sehen wir auch bei Menschen mit einem ›gealterten‹ Immun­system«, betont Aschen­brenner. Dieses Phänomen, auch Immuno­se­neszenz genannt, beobachtet man vor allem bei älteren Menschen. Die Betrof­fenen werden dadurch deutlich anfäl­liger für Infek­tionen, wie es jetzt auch im Kontext von COVID-19 disku­tiert wird, aber mögli­cher­weise auch für alters­be­dingte Erkran­kungen wie Krebs oder Alzheimer. Man weiß, dass bei ihnen die Aktivität zahlreicher Gene im Blut auf charak­te­ris­tische Weise verändert ist – Experten sprechen auch von einer immuno­lo­gi­schen Alterungs-Signatur. »Genau diese Signatur haben wir auch in den Teilnehmern mit einer geringen CRELD1-Aktivität gefunden«, sagt Aschenbrenner.

Hundert­jährige mit jungem Immunsystem

Erstaunlich ist, dass bei manchen Menschen das Immun­system erheblich schneller altert als bei anderen. So gibt es Hundert­jährige, die immuno­lo­gisch gesehen einige Jahrzehnte jünger sind. Bei anderen lässt die Schlag­kraft der körper­ei­genen Krank­heits-Abwehr schon in der Lebens­mitte deutlich nach. Die Wissen­schaftler hoffen nun, dass CRELD1 ihnen einen Schlüssel dazu liefert, die Ursachen der immuno­lo­gi­schen Alterung besser zu verstehen. »Langfris­tiges Ziel ist es, diesen Prozess zu bremsen oder aufzu­halten«, erklärt Aschen­brenner. »So ließe sich vielleicht das Erkran­kungs­risiko von Senio­rinnen und Senioren deutlich senken.«

Origi­nal­pu­bli­kation:

Lorenzo Bonaguro, Maren Köhne, Lisa Schmid­leithner, Jonas Schulte-Schrepping, Stefanie Warnat-Herresthal, Arik Horne, Paul Kern, Patrick Günther, Rob ter Horst, Martin Jaeger, Souad Rahmouni, Michel Georges, Christine S. Falk, Yang Li, Elvira Mass, Marc Beyer, Leo A. B. Joosten, Mihai G. Netea, Thomas Ulas, Joachim L. Schultze und Anna C. Aschen­brenner: CRELD1 modulates homeostasis of the immune system in mice and humans. Nature Immunology; DOI: 10.1038/s41590-020–00811‑2

Textquelle: Svenja Ronge, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Univer­sität Bonn

Bildquelle: Das Bild zeigt Zellen, in denen Creld1 mit einem gelben Farbstoff markiert wurde, um seine Lokali­sation in der Zelle anzuzeigen. Foto: Dr. Lorenzo Bonaguro