Arbeits­stress wird von Burn-out angetrieben

Stress vorpro­gram­miert: Der Arbeits­platz einer modernen Leitstelle, Öster­rei­chi­sches Rotes Kreuz, Steiermark. Foto: Rd144 1, Lizenz: Gemeinfrei

Arbeits­stress wird von Burn-out angetrieben

Arbeits­stress und Burn-out schaukeln sich gegen­seitig auf – Aber der Effekt von Arbeits­stress auf Burn-out ist überra­schen­der­weise viel kleiner als der umgekehrte Effekt von Burn-out auf den Arbeitsstress.

Stress und Überlastung am Arbeits­platz nehmen weltweit zu und werden häufig als Ursache von Burn-out betrachtet. Tatsächlich zeigt eine neue Studie, dass sich Stress bei der Arbeit und Burn-out gegen­seitig aufschaukeln. Entgegen der allge­meinen Auffassung wirkt sich Burn-out jedoch viel stärker auf den Stress am Arbeits­platz aus als umgekehrt. »Das bedeutet, je weiter sich Burn-out entwi­ckelt, umso mehr Stress, wie zum Beispiel Zeitdruck, nehmen die Menschen bei der Arbeit wahr«, erklärt Prof. Dr. Christian Dormann von der Johannes Gutenberg-Univer­sität Mainz (JGU). Dieser Effekt ist viel stärker als der umgekehrte Effekt, den Arbeits­stress auf Burn-out ausübt. Daher sollten Beschäf­tigte, die unter Burn-out leiden, recht­zeitig eine angemessene Unter­stützung erhalten, um zuneh­menden Arbeits­stress zu vermeiden und damit den Teufels­kreis von Stress und Burn-out zu durchbrechen.

Als Symptome für Burn-out gelten Erschöpfung, Zynismus sowie gemin­derte Leistungs­fä­higkeit. »Das wichtigste Burn-out-Symptom ist tatsächlich das Gefühl, erschöpft zu sein und zwar in einem Ausmaß, das sich nicht durch die normalen Erholungs­phasen am Abend, am Wochenende oder im Urlaub beheben lässt«, sagt Dormann. »Um sich vor weiterer Erschöpfung zu schützen, versuchen manche Betroffene, eine psychische Distanz zu ihrer Arbeit aufzu­bauen, das heißt sich von der Arbeit und damit verbun­denen Personen zu entfremden und zynischer zu werden«, ergänzt Dr. Christina Guthier. Sie hat die Studie im Rahmen ihrer Doktor­arbeit, für die sie 2020 den Disser­ta­ti­ons­preis der Alfred Teves-Stiftung erhielt, in der Arbeits­gruppe von Dormann durch­ge­führt. Die Unter­su­chung wurde nun in der renom­mierten Fachzeit­schrift Psycho­lo­gical Bulletin veröffentlicht.

Christina Guthier hat für die gemeinsame Veröf­fent­li­chung mit Christian Dormann und Prof. Dr. Manuel Völkle von der Humboldt-Univer­sität zu Berlin 48 Längs­schnitt­studien zu Burn-out und Arbeits­stress ausge­wertet. In diesen Studien waren insgesamt 26.319 Teilneh­me­rinnen und Teilnehmer befragt worden. Der Alters­durch­schnitt betrug knapp 42 Jahre bei der Erstbe­fragung, 44 Prozent der Probanden waren Männer. Die Längs­schnitt­studien aus den Jahren 1986 bis 2019 stammten aus verschie­denen Ländern, darunter überwiegend europäische Länder, Israel, die USA und Kanada, Mexiko, Südafrika, Australien, China und Taiwan.

Die Ergeb­nisse stellen die übliche Sicht­weise, dass Arbeits­stress die treibende Kraft bei Burn-out ist, infrage oder relati­vieren sie zumindest. »Burn-out kann, muss aber nicht von der Arbeits­si­tuation angestoßen werden«, so Dormann. Aber sobald der Prozess angeschoben wurde, entwi­ckelt er sich schlei­chend und schaukelt sich allmählich auf. Schließlich führt Burn-out dazu, dass die Arbeit zunehmend als stressig empfunden wird: die Arbeits­menge ist zu viel, die Zeit zu knapp, der Arbeits­stress zu groß. »Bei Erschöpfung nimmt die Belast­barkeit für gewöhnlich ab. Dadurch können bereits kleinere Aufgaben als deutlich anstren­gender wahrge­nommen werden«, erklärt Guthier. »Wir haben einen Effekt von Burn-out auf Arbeits­stress erwartet, jedoch die Stärke des Effektes war sehr überra­schend«, so die Erstau­torin des Beitrags. Etwas abgemildert werden kann der Effekt, den Burn-out auf den empfun­denen Arbeits­stress hat, wenn die Beschäf­tigten mehr Kontrolle über ihre eigene Arbeit haben und Unter­stützung aus dem Kreis der Kollegen oder von Vorge­setzten erhalten.

Laut Dormann eröffnet sich aufgrund dieser bisher einzig­ar­tigen Daten­grundlage ein neues Forschungsfeld, weil dieser starke Rückkopp­lungs­effekt von Burn-out auf den Arbeits­stress bisher noch nicht unter­sucht wurde. Die Fragen sind: Wie werden die Auswir­kungen von Burn-out auf den wahrge­nom­menen Arbeits­stress verringert? Wie wird der Teufels­kreis verhindert? Dormann und Guthier schlagen vor, Inter­ven­tionen beim Führungs­ver­halten anzusetzen. Beschäf­tigte sollten die Möglichkeit haben, jederzeit Rückmeldung zu ihrem Arbeits­stress zu geben, und wertge­schätzt werden. Außerdem könnte – vielleicht nicht zuletzt – auch richtige Erholung helfen, die Abwärts­spirale zu stoppen.

Origi­nal­pu­bli­kation:

Christina Guthier, Christian Dormann, Manuel C. Voelkle

Reciprocal Effects Between Job Stressors and Burnout: A Conti­nuous Time Meta-Analysis of Longi­tu­dinal Studies

Psycho­lo­gical Bulletin, 29. Oktober 2020

DOI: 10.1037/bul0000304

https://doi.org/10.1037/bul0000304

Textquelle: Petra Giegerich, Johannes Gutenberg-Univer­sität Mainz

Bildquelle: Stress vorpro­gram­miert: Der Arbeits­platz einer modernen Leitstelle, Öster­rei­chi­sches Rotes Kreuz, Steiermark. Foto: Rd144 1, Lizenz: Gemeinfrei