Pandemie: Zu wenig Bewegung in Pflegeheimen

Die Zutritts­be­schrän­kungen in Pflege­heimen während des Corona-Lockdowns verrin­gerten vielfach die Angebote zur Bewegungs­för­derung für die Bewoh­ne­rinnen und Bewohner. Foto: BaSAlt-Projekt

Pandemie: Zu wenig Bewegung in Pflegeheimen

Bewegung erhält die Mobilität, Autonomie und das Wohlbe­finden älterer Menschen. Der Bewegungs­för­derung kommt vor allem auch in Pflege­heimen besondere Bedeutung zu. Wie es damit während des Corona-Lockdowns aussah, hat ein Team des Instituts für Sport­wis­sen­schaft der Univer­sität Tübingen unter der Leitung von Dr. Annika Frahsa und Professor Ansgar Thiel in acht Einrich­tungen in der Tübinger Region untersucht.

Danach waren die Bewegungs­mög­lich­keiten und ‑angebote in Pflege­heimen – wie für viele andere Bevöl­ke­rungs­gruppen – stark einge­schränkt. Doch stellte das Forschungsteam fest, dass dieses Defizit auf ein struk­tu­relles Problem der Einrich­tungen zurück­zu­führen ist: Bewegungs­för­derung ist in den internen Leitlinien der Heime nicht vorge­sehen. Diese Aufgabe wird großen­teils von externen Dienst­leistern erfüllt, die während des Lockdowns keinen Zutritt zu den Heimen hatten. Das Forschungsteam will neue Konzepte entwi­ckeln, um die Bewegungs­för­derung – nicht nur unter Pande­mie­be­din­gungen – intern in Pflege­heimen zu etablieren. Diese Teilstudie eines größeren Forschungs­pro­jekts zur Bewegungs­för­derung in Heimen wurde in der Fachzeit­schrift Frontiers in Sports and Active Living veröffentlicht.

Das Forschungs­projekt BaSAlt des Tübinger Forschungs­teams – Verhält­nis­ori­en­tierte Bewegungs­för­derung und indivi­duelle Bewegungs­be­ratung im Setting ‚Alten­wohnheim‘ – ein biopsy­cho­so­ziales Analyse- und Beratungs­projekt – lief bereits vor der Corona-Pandemie. Erforscht wird, wie Gesundheit und Lebens­zu­frie­denheit von Menschen in Pflege­heimen optimal gefördert werden können. Die Teilstudie über die Bedin­gungen im Corona-Lockdown wurde aktuell einge­schoben. »Wir haben die acht Heime in den Stadt- und Landkreisen Tübingen, Reutlingen und Esslingen einbe­zogen, die von Anfang an am Projekt BaSAlt teilge­nommen haben«, berichtet Annika Frahsa.

Mangel an insti­tu­tio­na­li­sierten Angeboten

Das Forschungsteam inter­viewte in diesen Einrich­tungen die Pflege­dienst­lei­tungen und befragte die Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter sowie die Angehö­rigen der Heimbe­woh­ne­rinnen und ‑bewohner mithilfe von Frage­bögen zu den Verän­de­rungen von Tages­ab­läufen aufgrund der Kontakt­be­schrän­kungen während des Corona-Lockdowns. Außerdem analy­sierte das Forschungsteam die Pflege­kon­zepte, Leitbilder und wöchent­lichen Aktivi­täts­pläne aus organi­sa­ti­ons­so­zio­lo­gi­scher Perspektive.

»Die Bewegungs­för­derung in den Heimen wurde durch die Covid-19-bedingten Verhal­tens­ein­schrän­kungen erheblich behindert«, sagt Frahsa. Zwar würden aus Sicht der Führungs­kräfte der Heime Bewegungs­an­gebote und ‑anreize auch in Zeiten der Pandemie als wichtig angesehen. »Doch ist das in Heimen wenig insti­tu­tio­na­li­siert. Durch den einge­schränkten Zugang konnte die Bewegungs­för­derung nicht wie üblich an externe Dienst­leister delegiert werden«, erklärt Ansgar Thiel. Die Aufgabe sei daher an durchaus motivierte, aber in diesem Bereich wenig quali­fi­zierte interne Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter überant­wortet worden, ohne dass aber zusätz­liche Ressourcen zur Verfügung standen. Da die Arbeits­ka­pa­zität des Pflege­per­sonals durch die Pandemie selbst überbe­an­sprucht war, wurde die Bewegungs­för­derung in vielen Fällen zurückgefahren.

Im Projekt BaSAlt hat sich das Forschungsteam das Ziel gesetzt, gemeinsam mit dem Pflege­per­sonal der an der Studie betei­ligten Heime die Bewegungs­för­derung in den Einrich­tungen selbst aufzu­bauen. »Wir arbeiten dabei im Sinne einer Hilfe zur Selbst­hilfe«, erklärt Thiel. »Wir wollen zum Beispiel prüfen, inwieweit die Heimbe­woh­ne­rinnen und ‑bewohner bei Alltags­ab­läufen wie dem Waschen zu mehr körper­lichen Übungen angeregt werden können.« Langfristig soll die Bewegungs­för­derung in den Struk­turen der Heime verankert werden, dass sie künftig auch in heraus­for­dernden Zeiten wie einer Pandemie umgesetzt werden kann.

Origi­nal­pu­bli­kation:

Annika Frahsa, Dorothee Altmeier, Jannika M. John, Hannes Gropper, Hanna Granz, Rebekka Po-miersky, Daniel Haigis, Gerhard W. Eschweiler, Andreas M. Nieß, Gorden Sudeck and Ansgar Thiel: »I Trust in Staff’s Creativity« – The Impact of COVID-19 Lockdowns on Physical Activity Promotion in Nursing Homes Through the Lenses of Organiza­tional Sociology. Frontiers in Sports and Active Living, https://doi.org/10.3389/fspor.2020.589214

Textquelle: Dr. Karl Guido Rijkhoek, Eberhard Karls Univer­sität Tübingen

Bildquelle: Die Zutritts­be­schrän­kungen in Pflege­heimen während des Corona-Lockdowns verrin­gerten vielfach die Angebote zur Bewegungs­för­derung für die Bewoh­ne­rinnen und Bewohner. Foto: BaSAlt-Projekt