Vom Leibge­richt eines Darmbakteriums

Raster­elek­tro­nen­mi­kro­sko­pische Aufnahme des Darmbak­te­riums Prevotella rodentium. Die Spezies wurde in der Studie isoliert. Foto: HZI/Manfred Rohde

Vom Leibge­richt eines Darmbakteriums

Der Verdau­ungs­trakt ist dicht besiedelt mit Bakterien und anderen Mikro­or­ga­nismen. Diese Darmmi­kro­biota hilft dem Wirt bei der Verwertung von Nährstoffen. Insbe­sondere pflanz­liche Ballast­stoffe können nur mithilfe der Darmbak­terien abgebaut und aufge­nommen werden. Die Zusam­men­setzung der Mikro­biota ist dynamisch und neben weiteren Faktoren abhängig von der Ernährung. Wissen­schaftler des Helmholtz-Zentrums für Infek­ti­ons­for­schung (HZI) in Braun­schweig haben gezeigt, dass die Verwertung des Ballast­stoffs Arabin­oxylan es Bakterien der Gattung Prevotella ermög­licht, eine dominante Rolle in der mikro­biellen Gemein­schaft einzu­nehmen. Für die Studie koope­rierten die Braun­schweiger Forscher mit der Max-Planck-Forschungs­stelle für die Wissen­schaft der Pathogene in Berlin. Ihre Ergeb­nisse veröf­fent­lichten sie in der Fachzeit­schrift Cell Host & Microbe.

Bis zu 50 Prozent der Bakterien in der Darmmi­kro­biota gehören zur Gattung Prevotella. Die Vertreter dieser Schlüs­sel­gattung sind bisher noch wenig erforscht. Die Häufigkeit ihres Vorkommens hängt jedoch stark von der Ernährung ab. »Ziel unserer Studie war daher, die ökolo­gische Nische der Prevotellen zu verstehen und heraus­zu­finden, welche Nahrungs­fak­toren ihnen dabei helfen, eine dominante Rolle in der Mikro­biota einzu­nehmen«, sagt Prof. Till Strowig, Leiter der Abteilung »Mikro­bielle Immun­re­gu­lation« am HZI.

Dafür isolierten die Wissen­schaftler verschiedene Prevotella-Spezies aus der Mikro­biota von Mäusen. Wenn sie diese Spezies im Darm von Prevotella-freien Mäusen, die eine ballast­stoff­reiche Standard­er­nährung erhielten, ansie­delten, nahmen die Bakterien schnell eine dominante Rolle in der Mikro­biota ein. Insbe­sondere die Zugabe von Arabin­oxylan, einem Ballast­stoff, der in pflanz­lichen Zellwänden vorkommt, förderte das Wachstum der Prevotellen.

»Mithilfe von bioin­for­ma­ti­schen Analysen haben wir unter­sucht, welche geneti­schen Faktoren zur Dominanz der Prevotellen führen. Wir konnten zeigen, dass in den Bakterien genetische Elemente stark aktiviert wurden, die eine effektive Verwertung von komplexen Kohlen­hy­draten, sogenannten Polys­ac­cha­riden, ermög­lichen. Diese Elemente werden als PUL (englisch: polys­ac­charide utilizing loci) bezeichnet«, sagt Strowig. Prevotella-Spezies mit einer höheren Anzahl an PULs konnten Spezies mit weniger PULs aus der Mikro­biota verdrängen.

Daher vermuten die Forscher, dass diese Elemente in Gegenwart pflanz­licher Ballast­stoffe wichtig sind, um sich in der ökolo­gi­schen Nische zu behaupten. »Die ökolo­gische Nische ist jedoch hochdy­na­misch: Wenn wir den Zucker- oder Fettanteil in der Ernährung der Mäuse erhöht haben, sahen wir innerhalb kurzer Zeit einen Rückgang der Prevotellen von 50 auf fünf Prozent«, sagt Dr. Eric Galvez, Postdoc in Strowigs Abteilung und Erstautor der Studie.

»Darmbak­terien werden oft pauschal als ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ für die Gesundheit katego­ri­siert. Bei Prevotellen ist diese eindeutige Zuordnung aber gar nicht möglich: Einer­seits werden sie mit positiven Gesund­heits­ef­fekten, wie einer verbes­serten Verstoff­wech­selung von Ballast­stoffen, assoziiert. Anderer­seits gibt es Hinweise, dass Prevotellen entzün­dungs­ver­stärkend wirken können«, sagt Strowig. Auch bei Menschen ist Prevotella eine stark vertretene Gattung in der Mikrobiota.

Daher hat Strowig mit seinem Team unter­sucht, ob Prevotellen dort ebenfalls PULs nutzen, um sich in der ökolo­gi­schen Nische zu behaupten. Sie haben bestehende Daten­sätze daraufhin analy­siert, ob das Vorkommen von PULs bei Prevotella copri, der häufigsten Prevotellen-Spezies in der mensch­lichen Darmmi­kro­biota, abhängig von der Ernährung ist. Tatsächlich konnten sie nur bei Veganern, nicht jedoch bei Vegeta­riern, eine Zunahme dieser Elemente gegenüber Menschen mit fleisch­hal­tiger Ernährung finden. »Wir wissen noch nicht, welche Nahrungs­fak­toren für die unter­schied­liche PUL-Häufigkeit verant­wortlich sind«, sagt Strowig.

Die aktuelle Studie zeigt eine Assoziation zwischen PULs und der Dominanz von Prevotella im Mikrobiom. »Derzeit arbeiten wir schon daran, im Mausmodell den kausalen Zusam­menhang und die moleku­laren Mecha­nismen der geneti­schen Elemente zu verstehen«, sagt Strowig. Dieses Wissen wollen die Wissen­schaftler anwenden, um die Wechsel­wir­kungen von Prevotella mit der Ernäh­rungsform und die genaue ökolo­gische Nische auch in der mensch­lichen Mikro­biota zu untersuchen.

Origi­nal­pu­bli­kation:

Eric J.C. Gálvez, Aida Iljazovic, Lena Amend, Till Robin Lesker, Thibaud Renault, Sophie Thiemann, Lianxu Hao, Urmi Roy, Achim Gronow, Emmanuelle Charpentier, Till Strowig: Distinct polys­ac­charide utilization deter­mines inter­species compe­tition between intestinal Prevotella spp. Cell Host & Microbe. 2020. doi: 10.1016/j.chom.2020.09.012

Textquelle: Susanne Thiele, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Bildquelle: Raster­elek­tro­nen­mi­kro­sko­pische Aufnahme des Darmbak­te­riums Prevotella rodentium. Die Spezies wurde in der Studie isoliert. Foto: HZI/Manfred Rohde