Kinder und Corona: Mehr psychische Auffälligkeiten

Für zwei Drittel der Kinder und Jugend­lichen sind die Schule und das Lernen anstren­gender als vor Corona. Sie haben Probleme, den schuli­schen Alltag zu bewäl­tigen und empfinden diesen teilweise als extrem belastend. Jóvenes, Lizenz: CC0

Kinder und Corona: Mehr psychische Auffälligkeiten

Die Lebens­qua­lität der Kinder und Jugend­lichen in Deutschland hat sich während der Corona-Pandemie vermindert, sie berichten vermehrt von psychi­schen und psycho­so­ma­ti­schen Auffäl­lig­keiten. Betroffen sind vor allem Kinder aus sozial schwä­cheren Familien. Das sind die wesent­lichen Ergeb­nisse der sogenannten COPSY-Studie, in der Forschende des Univer­si­täts­kli­nikums Hamburg-Eppendorf (UKE) die Auswir­kungen und Folgen der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugend­lichen in Deutschland unter­sucht haben. Dafür befragten sie zwischen 26. Mai und 10. Juni über 1000 Kinder und Jugend­liche zwischen 11 und 17 Jahren und mehr als 1500 Eltern per Online-Fragebogen.

»Die Studie hat gezeigt, dass die Heraus­for­de­rungen der Pandemie und die damit im sozialen Leben einher­ge­henden Verän­de­rungen die Lebens­qua­lität und das psychische Wohlbe­finden von Kindern und Jugend­lichen verringern und das Risiko für psychische Auffäl­lig­keiten erhöhen. Die meisten Kinder und Jugend­lichen fühlen sich belastet, machen sich vermehrt Sorgen, achten weniger auf ihre Gesundheit und beklagen häufiger Streit in der Familie. Bei jedem zweiten Kind hat das Verhältnis zu seinen Freunden durch den mangelnden physi­schen Kontakt gelitten«, sagt Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der Studie und der Forschungs­gruppe »Child Public Health« der Klinik für Kinder- und Jugend­psych­iatrie, ‑psycho­the­rapie und ‑psycho­so­matik des UKE.

Im Mittel­punkt der COPSY (Corona und Psyche)-Studie standen Themen wie psychische Gesundheit, Lebens­qua­lität und Gesund­heits­ver­halten sowie konkrete Fragen zu Schule, Familie und Freunden. Um heraus­zu­finden, wie sich die Werte im Vergleich zu der Zeit vor Corona verändert haben, verglichen die UKE-Forscher die aktuellen Werte mit vorher erhobenen Daten bundes­weiter Studien.

 

Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Stell­ver­tre­tende Direk­torin der Klinik für Kinder- und Jugend­psych­iatrie, ‑psycho­the­rapie und ‑psycho­so­matik, präsen­tiert Ergeb­nisse der COPSY-Studie und Folgen der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugend­lichen. (Presse­ge­spräch am 10.7.2020)

Die Auswertung der COPSY-Daten zeigt deutlich, dass die Kinder und Jugend­lichen die seeli­schen Belas­tungen der Corona-Pandemie spüren: 71 Prozent der befragten Kinder und Jugend­lichen fühlen sich dadurch belastet (s. Grafik 1). Zwei Drittel von ihnen geben eine vermin­derte Lebens­qua­lität und ein gerin­geres psychi­sches Wohlbe­finden an. Vor Corona war dies nur bei einem Drittel der Kinder und Jugend­lichen der Fall gewesen (s. Grafik 2). »Wir haben mit einer Verschlech­terung des psychi­schen Wohlbe­findens in der Krise gerechnet. Dass sie aller­dings so deutlich ausfällt, hat auch uns überrascht«, sagt Prof. Ravens-Sieberer.

Die Kinder und Jugend­lichen erleben während der Krise vermehrt psychische und psycho­so­ma­tische Probleme: Das Risiko für psychische Auffäl­lig­keiten steigt von rund 18 Prozent vor Corona auf 31 Prozent während der Krise (s. Grafik 3). Die Kinder und Jugend­lichen machen sich mehr Sorgen und zeigen häufiger Auffäl­lig­keiten wie Hyper­ak­ti­vität (24 Prozent), emotionale Probleme (21 Prozent) und Verhal­tens­pro­bleme (19 Prozent). Auch psycho­so­ma­tische Beschwerden treten während der Corona-Krise vermehrt auf. Neben Gereiztheit (54 Prozent) und Einschlaf­pro­blemen (44 Prozent) sind das beispiels­weise Kopf- und Bauch­schmerzen (40 bzw. 31 Prozent, s. Grafik 4).

Grafik 1
Grafik 2
Grafik 3
Grafik 4
Mehr »Lebens«probleme

Auch bei Themen wie Schule, Familie oder Freunde zeigten sich in der Corona-Zeit auffällige Verän­de­rungen: Für zwei Drittel der Kinder und Jugend­lichen sind die Schule und das Lernen anstren­gender als vor Corona. Sie haben Probleme, den schuli­schen Alltag zu bewäl­tigen und empfinden diesen teilweise als extrem belastend. »Das verwundert kaum, da den Kindern und Jugend­lichen die gewohnte Tages­struktur und natürlich ihre Freunde fehlen. Beides ist für die psychische Gesundheit sehr wichtig«, erklärt Ravens-Sieberer. Auch in den Familien hat sich die Stimmung verschlechtert: 27 Prozent der Kinder und Jugend­lichen und 37 Prozent der Eltern berichten, dass sie sich häufiger streiten als vor der Corona-Krise.

»Unsere Ergeb­nisse zeigen, dass die Corona-bedingten Verän­de­rungen bestimmte Gruppen von Kindern und Jugend­lichen besonders stark belasten«, sagt Ravens-Sieberer. Vor allem Kinder, deren Eltern einen niedrigen Bildungs­ab­schluss bezie­hungs­weise einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund haben, erleben die Corona-bedingten Verän­de­rungen als äußerst schwierig. Fehlende finan­zielle Ressourcen und ein beengter Wohnraum führen ebenfalls zu einem hohen Risiko für psychische Auffäl­lig­keiten. Mangelnde Rückzugs­mög­lich­keiten und fehlende Tages­truktur können besonders in Krisen­zeiten zu Streit und Konflikten in der Familie führen. Ihre Forderung: »Wir brauchen dringend Konzepte, wie wir die Familien in belas­teten Phasen besser unter­stützen können. Wir wissen, wenn die Eltern belastet sind, sind es auch die Kinder. Und wenn verschiedene Belas­tungen zusam­men­kommen, nimmt das Risiko für psychische und psycho­so­ma­tische Auffäl­lig­keiten zu.«

Über die Studie

Für die COPSY-Studie wurden bundesweit 1040 Kinder und Jugend­liche zwischen 11 und 17 Jahren sowie 1586 Eltern per Online-Frage­bogen vom UKE und von infratest dimap befragt. Die UKE-Forschenden koope­rierten für die Studie mit dem Gesund­heits­wis­sen­schaftler Prof. Dr. Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Gover­nance in Berlin, dem Robert Koch-Institut (RKI) sowie der Bundes­zen­trale für gesund­heit­liche Aufklärung (BZgA).

Textquelle: Saskia Lemm, Univer­si­täts­kli­nikum Hamburg-Eppendorf

Bildquelle: Für zwei Drittel der Kinder und Jugend­lichen sind die Schule und das Lernen anstren­gender als vor Corona. Sie haben Probleme, den schuli­schen Alltag zu bewäl­tigen und empfinden diesen teilweise als extrem belastend. Foto: Jóvenes, Lizenz: CC0

Grafiken 1 bis 4: Univer­si­täts­kli­nikum Hamburg-Eppendorf