Bild einer Frau. Foto: Jiri Hodan, Lizenz: CC0
Chronisch Kranke profitieren von längerer Psychotherapie
Viele Depressionen verlaufen chronisch. Eine weltweit einmalige Langzeitstudie hat nun gezeigt, dass längere Psychotherapien – egal ob Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie – die Symptome nachhaltig reduzieren können. Studienleiterin Prof. Marianne Leuzinger-Bohleber stellte die Studie auf der Beiratssitzung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) in Berlin vor.
In der aktuellen Veröffentlichung im angesehenen Canadian Journal of Psychiatry berichtet die Arbeitsgruppe aus psychoanalytischen und verhaltenstherapeutischen Forschern vielversprechende Langzeitergebnisse von psychoanalytischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Langzeitbehandlungen von chronisch Depressiven. Die Auswertung erfolgte unabhängig durch ein statistisches Methodenzentrum.
Drei Jahre nach Beginn ihrer Langzeittherapien hatten 45 Prozent der Patienten nach eigener Selbsteinschätzung und 61 Prozent nach Fremdbeurteilung durch unabhängige Experten eine stabile Rückbildung ihrer depressiven Symptome erzielt. Depressionen werden nach Voraussagen der Weltgesundheitsorganisation 2020 die zweithäufigste Volkskrankheit sein, eine Quelle großen Leidens für die Betroffenen und ihre Familie und hoher Kosten im Gesundheitsbereich. Mindestens 20 bis 30 Prozent der Depressionen verlaufen chronisch. Über 50 Prozent erleiden Rückfälle erleiden nach internationalen Studien nach kürzeren Psychotherapien oder medikamentöser Behandlung.
Die Studie wollte daher herausfinden, ob Langzeittherapien chronisch Depressiven nachhaltig helfen. Hierzu wurden die Therapieverfahren eingesetzt, die in Deutschland als Richtlinienverfahren durch die Krankenversicherungen anerkannt sind, kognitiv-verhaltenstherapeutische, tiefenpsychologische und psychoanalytische Therapien. 252 chronisch Depressive konnten ihre Behandlung auswählen, wenn sie eine klare Behandlungspräferenz hatten, oder sich zufällig zu verhaltenstherapeutischen oder psychoanalytischen Behandlungen zuweisen lassen. Die Anzahl der Rückfälle konnte statistisch signifikant reduziert werden, ein enorm wichtiger Befund für diese Patientengruppe. Auch die depressiven Symptome waren hoch signifikant zurückgegangen (mit hohen Effektstärken bis zu 2.08).
Studienleiterin Prof. Marianne Leuzinger-Bohleber (Sigmund-Freud-Institut Frankfurt/ Universität Kassel/Universitätsmedizin Mainz) berichtet von hohen Belastungen der eingeschlossenen Patientinnen und Patienten in der knapp 15 Jahre währenden und anhaltenden Studie: »Unsere Studienteilnehmer hatten in der großen Mehrzahl schon mehrere kurzdauernde psychotherapeutische und vielfach medikamentöse Vorbehandlungen gehabt, die nicht dauerhaft halfen. 84 Prozent von ihnen hatten traumatische Kindheitserfahrungen wie emotionale Frühvernachlässigungen, sexuelle und körperliche Gewalterfahrungen, Verlust ihrer Eltern oder extrem belastende Trennungserfahrungen erlebt. Nur 50 Prozent lebten in festen Partnerschaften und 14 Prozent waren arbeitslos. Umso wichtiger war es für uns, deutliche und anhaltende Verbesserungen der Depressionen zu erzielen.«
Von verhaltenstherapeutischer Seite kommentiert Studienleiter Prof. Martin Hautzinger von der Universität Tübingen: »Die meisten Psychotherapiestudien untersuchen – vielfach aus pragmatischen Gründen- nur kürzere Behandlungen mit einem kurzen Nacherhebungszeitraum. Dass uns gelungen ist, Langzeitbehandlungen über drei Jahre hinweg zu untersuchen, zeichnet unsere gegenüber anderen Studien aus. Psychoanalytische und verhaltenstherapeutische Behandlungen erzielten vergleichbar gute Ergebnisse. Weiteren Aufschluss, z.B. ob bestimmte Gruppen von chronisch Depressiven besser auf die eine oder die andere Therapieform reagieren, erhoffen wir uns von den Fünf-Jahres-Nacherhebungen.«
Studienleiter Prof. Manfred Beutel, Klinik für Psychosomatische Medizin, Universitätsmedizin Mainz, ergänzt: »Eine wichtige Frage unserer Studie war, wie die beiden bewährten Behandlungen wirken. Verhaltenstherapeutische Behandlungen zielen auf Verbesserung der depressiven Symptome und inadäquaten Denkens und Handelns. In der Therapie werden systematisch ungünstige Verhaltensweisen und Denkmuster identifiziert und der Patient wird dazu angeleitet, hilfreiche Strategien zu entwickeln und diese schrittweise selbstständig einzusetzen, um so zu lernen, die fehlangepassten Verhaltensweisen zu verändern. Die psychoanalytische Therapie zielt neben der Verbesserung der depressiven Symptome auch auf grundlegende Veränderungen von Selbsterkenntnis, Selbsterleben und Beziehungsgestaltung, die dauerhaft Lebensqualität, soziale Beziehungen und Kreativität im Arbeits- und Freizeitbereich zu verbessern helfen. In der Beziehung zum Therapeuten wird untersucht, ob und in welcher Weise sich frühere Beziehungserfahrungen unerkannt negativ auf die aktuelle Lebensgestaltung auswirken.«
Insgesamt lagen die Ergebnisse besser als bei vorangegangen Studien mit kürzeren Therapien. Verhaltenstherapeutische Behandlungen waren insgesamt deutlich kürzer als psychoanalytische Behandlungen. Erste Ergebnisse in einer weiteren Publikation der Forschergruppe im International Journal of Psychoanalysis zeigen, dass ein besserer Zugang zu inneren konflikthaften Erlebensmustern (Selbsterkenntnis, sogenannte strukturelle Veränderungen) längerfristig vor allem in psychoanalytische Behandlungen erzielt werden kann. Prof. Leuzinger-Bohleber: »Wir sind sehr gespannt auf die künftigen Auswertungen, in denen wir untersuchen, welche Patienten am besten von welchen Verfahren profitieren. Um Kosten-Nutzen-Bestimmungen für die beiden psychotherapeutischen Verfahren durchzuführen, werden wir künftig genau direkte Behandlungskosten und indirekte Kosten (z.B. Anzahl Arbeitsfehltage, Krankenhausaufenthalte etc.) analysieren.«
Publikationen: Leuzinger-Bohleber, M.,Hautzinger, M., Fiedler, G., Keller, W., Bahrke, U., Kallenbach, L., Kaufhold, J., Ernst, M., Negele, A., Schoett, M. Küchenhoff, H., Günther, F., Rüger, B., Beutel, M. (2018a): Outcome of Psychoanalytic and Cognitive-Behavioral Long-term-Therapy with Chronically Depressed Patients. A controlled trial with preferential and randomized allocation: The Canadian Journal of Psychiatry /DOI: 10.1177/0706743718780340
Leuzinger-Bohleber, M., Kaufhold, J., Kallenbach, L., Negele, A., Ernst, M., Keller, W., Fiedler, G., Hautzinger, M., Beutel, M.(2018b) Does sustained symptomatic improvement of chronically depressed patients need structural change in long-term psychotherapies? Findings from the LAC depression study comparing the outcomes of cognitive-behavioral and psychoanalytic long-term treatments. Int. J Psychoanal., The International
Journal of Psychoanalysis, 100:1, 99–127, DOI: 10.1080/00207578.2018.1533377
Leuzinger-Bohleber, M., Hautzinger, M., Keller, W., Fiedler, G., Bahrke, U., Kallenbach‑L., Kaufhold, J., Negele, A., Küchenhoff, H., Günther, F., Rüger, B. Ernst, M., Rachel, P., Beutel, M.(2019): Psychoanalytische und kognitiv-behaviorale Langzeitbehandlung chronisch depressiver Patienten bei randomisierter oder präferierter Zuweisung. Ergebnisse der LAC Studie. Psyche- Z Psychoanal 73, 2019, 77–105. DOI 10.217067ps-73–2‑77.
Kaufhold, H., Bahrke, U., Kallenbach, L., Negele, A., Ernst, M., Keller, W., Rachel, P., Fiedler, G., Hautzinger, M., Leuzinger-Bohleber, M., Beutel, M.(2019): Wie können nachhaltige Veränderungen in Langzeittherapien untersucht werden? Symptomatische versus strukturelle Veränderungen in der LAC-Depressionsstudie. Psyche‑Z Psychoanal 73, 2019, 106–133. DOI 10.21706/ps-73–3‑106.
Textquelle: Dr. Felix Hoffmann, Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V.
Bildquelle: Bild einer Frau. Foto: Jiri Hodan, Lizenz: CC0