Corona zu Lasten anderer Patienten?

Corona zu Lasten anderer Patienten? 

In deutschen Kranken­häusern fehlen nach Angaben des Deutschen Kranken­haus­in­sti­tutes 17.000 Pflege­kräfte, auch auf Inten­siv­sta­tionen. Aus diesem Grund sind in der Vergan­genheit bereits Inten­siv­betten gesperrt worden. Kranken­häuser haben sich tageweise von der Notfall­ver­sorgung abgemeldet, weil ihnen das Personal für die Patien­ten­ver­sorgung fehlte.

Deutsche Kranken­häuser verfügen zwar über eine ausrei­chende Betten­re­serve, da sie derzeit durch­schnittlich zu 77 Prozent ausge­lastet sind und eine Auslastung von 92,5 Prozent möglich wäre. Wenn jedoch schon heute bei der Auslastung von 77 Prozent 17.000 Pflege­kräfte fehlen, wie sollen dann zusätz­liche Corona-Patienten versorgt werden? Das geht nur, wenn die derzeit in den Kranken­haus­betten vorhan­denen Patienten schritt­weise entlassen und an deren Stelle eine steigende Anzahl an Corona-Patienten aufge­nommen würde. Das bedeutet, dass bei steigender Zahl der Corona-Erkrankten, die in ein Krankenhaus aufge­nommen werden müssten, andere, planbare Opera­tionen oder Patien­ten­auf­nahmen zu verschieben sind. Zudem wird ein Corona-Patient anstelle von zwei oder drei anderen Patienten stationär für 14 Tage zu behandeln sein, wenn Corona-Patienten nicht in Drei- oder Zweibett-Zimmern isoliert werden können.

Sollten sich Pflege­kräfte und Ärzte selbst infizieren, wird sich auch das Problem der statio­nären Versorgung nicht nur durch eine weiter verrin­gerte Zahl an Mitar­beitern verschärfen. Eine exponen­tiell wachsende Zahl an stationär zu behan­delnden Corona-Patienten ist dann zu erwarten, wenn sich Pflege­kräfte aus Alten- und Pflege­heimen bezie­hungs­weise ambulanten Diensten sowie der medizi­ni­schen ambulanten Versorgung mit dem Corona-Virus infizieren. Das Anste­ckungs­risiko ist bei Patienten über 60 Jahren besonders hoch, vor allem dann, wenn entspre­chende Mehrfa­ch­er­kran­kungen vorliegen. Das ist häufig bei pflege­be­dürf­tigen Patienten der Fall, die eine Kranken­ge­schichte aus Herz-Kreislauf-Erkran­kungen, Lungen­ent­zün­dungen und Atemwegs­er­kran­kungen aufweisen. Eine Pflege­kraft eines Alten- und Pflege­heimes oder eines ambulanten Dienstes hat viele Patien­ten­kon­takte zu diesen Risiko­gruppen und könnte die Zahl der stationär zu versor­genden Patienten schlag­artig erhöhen, wenn sie zum Überträger des Virus würde und noch Kolle­ginnen und Kollegen angesteckt hätte. Schul­kinder kann man zuhause isolieren, alte Menschen mit schwachem Immun­system jedoch nur in Kranken­häusern, da auch in Alten- und Pflege­heimen nur begrenzte Perso­nal­ka­pa­zi­täten beispiels­weise zur Beatmung von Bewohnern vorhanden sind und bei ambulant betreuten Menschen Angehörige fehlen, die notwendige Einkäufe erledigen könnten. Mittlere Alten- und Pflege­heime verfügen über 50 und 80 Plätze, die in der Regel zu 98 Prozent belegt sind. Wenn nur 50 Prozent der Bewohner sich mit dem Corona-Virus infizieren würden, könnte dies zu 25 bis 40 Patienten an einem Tag führen, die dann in den Kranken­häusern der Region aufge­nommen werden müssten. Für sprung­hafte Anstiege der Fallzahlen durch das Auftreten von Corona-Infizierten in statio­nären Alten- und Pflege­heimen sind umlie­gende Kranken­häuser eher nicht gerüstet, so dass die Corona-Patienten auf mehrere Kranken­häuser in der Region verteilt werden müssten.

Es muss alles dafür Notwendige unter­nommen werden, die Anste­ckungs­gefahr zu verringern. Alltäg­liche Hygie­ne­maß­nahmen müssen unbedingt einge­halten, nicht notwendige Kontakte zu anderen Menschen in größeren Aufent­halts­be­reichen vermieden werden. Unter­nehmen und Betriebe müssen ihre Mitar­beiter direkt noch einmal schulen, allein deshalb, weil viele Mitar­beiter auch heute noch der Ansicht sind, dass selbst das Hände­wa­schen von zwanzig Sekunden viel zu lange und das Erreichen der Handge­lenke beim Waschen nicht notwendig ist. US-Forscher fanden heraus, dass Schilder die Hygiene erhöhen könnten. Sie brachten auf einer Herren­toi­lette vor einigen Jahren Schilder mit der Aufschrift an „Vier von fünf Männern waschen sich ihre Hände.“ Daraufhin stieg die Zahl der Hände­wa­scher von 77 auf 86 Prozent, wie das Fachblatt „Human Commu­ni­cation Research“ berichtete.

Psycho­logie-Studie­rende aus Heidelberg beobach­teten 1000 Männer und Frauen in Toilet­ten­be­reichen. Demnach verzich­teten elf Prozent der Männer ganz auf das Hände­wa­schen nach dem Toilet­tengang, bei den Frauen waren es nur drei Prozent. Nur etwa die Hälfte der Männer wusch sich die Hände gründlich mit Wasser und Seife. Rund 82 Prozent der Frauen wuschen sich die Hände, vielleicht auch deshalb, weil Studie­rende sie beobachteten.

Manche finden das Niesen in die Armbeuge albern und möchten auch nicht als ängstlich gelten, wenn sie ihrem Gegenüber erklären, wegen der Corona-Infek­ti­ons­gefahr auf das Hände­schütteln verzichten zu wollen. Vielleicht sind Hausbe­suche geschulter Multi­pli­ka­toren ein wirksames Mittel, die Bürger direkter zu infor­mieren und eine größere Nachhal­tigkeit allein bei Hygie­ne­maß­nahmen zu erreichen. Werbe­filme, Radio­sen­dungen, Fernseh­dis­kus­sionen und Bericht­erstat­tungen im Internet lösen bei Zuschauern und Zuhörern mögli­cher­weise nur kurzzeitig Betrof­fenheit aus, verbunden mit der Hoffnung, wohl eher nicht zu den Risiko­gruppen zu gehören, die sich anstecken oder zum Überträger werden. Die abgewan­delte Aufzählung von Konrad Lorenz3 sollte jedem Politiker und jedem Krisenstab deutlich machen, wie weit der Weg von der Infor­mation bis zur nachhal­tigen Prävention gegen eine Corona-Ausbreitung ist. Deshalb sind Offenheit, Trans­parenz und eine klare Risiko­ein­schätzung wichtige Maßstäbe, um die Bevöl­kerung, Unter­nehmen und besondere Risiko­be­reiche der Gesell­schaft zu angemes­senem Verhalten zwecks Anste­ckungs­abwehr zu motivieren.

1 Zitiert nach https://www.derwesten.de/panorama/ekel-alarm-so-selten-waschen-sich-maenner-und-…, Abfrage vom 1.3.2020

2 Ebenda, Abfrage von 1.3.2020

3 Gedacht heißt nicht immer gesagt, gesagt heißt nicht immer richtig gehört, gehört heißt nicht immer richtig verstanden, verstanden heißt nicht immer einver­standen, einver­standen heißt nicht immer angewendet, angewendet heißt noch lange nicht beibe­halten. (Konrad Lorenz, 1903 bis 1989)

Foto: Prof. Bernd Mühlbauer, Experte für Gesund­heits­ma­nagement, bezweifelt, dass Deutschland genügend Kranken­haus­betten hat, wenn sich das chine­sische Corona-Virus in Deutschland ausbreiten sollte. Foto: WH/BL